Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
und ein Ochsenherz, ein möglichst frisches. Kannst du eins auftreiben?«
»Nur ein Schweineherz. Wir haben gestern geschlachtet.« »Das geht auch.«
Bajo eilte davon. Kaum hatte er den Keller verlassen, tauchte Lucien auf.
»Gut, dass du da bist«, meinte Livia. »Ich brauche vielleicht deine Hilfe.«
Sie warteten schweigend, bis Bajo zurückkam. Der Manusch trug eine Kiste, auf der ein blutiger Beutel lag. Als er Lucien erblickte, erschrak er so sehr, dass er die Sachen beinahe fallen ließ.
»Wer ist das?«
»Ein Alb«, erklärte Livia. »Sein Name ist Lucien. Hab keine Angst. Er ist ein Freund.«
»Merkwürdige Freunde habt ihr«, murmelte Bajo kaum hörbar und beäugte Lucien voller Unbehagen, ehe er die Kiste abstellte.
»Verriegele die Tür«, bat die Wahrsagerin ihn. Als das geschehen war, öffnete sie die Kiste und breitete ihre Sachen auf dem Steinboden aus: Schriftrollen und in Leder gebundene Folianten, getrocknete Kräuter, ein Messer mit geheimnisvollen Zeichen auf der Klinge, Salbentiegel und Trankphiolen, deren Inhalt im Lampenlicht in seltsamen Farben schimmerte. »Fesselt Liam«, befahl sie. »Bindet ihn an der Trage fest.«
»Ist das wirklich nötig?«, fragte Vivana.
»Ja. Der Dämon wird versuchen, sich der Austreibung zu widersetzen.«
Livia gab Madalin ein Seil, und der Manusch leistete ihrer Anweisung Folge. Zu Vivanas Erleichterung ging ihr Onkel dabei einigermaßen behutsam zu Werke.
»Was wirst du jetzt mit ihm tun?«
»Ich muss ein Ritual durchführen, um Liams Seele von dem Eindringling zu trennen und den Dämon zu zwingen, seinen Körper zu verlassen.«
»Wofür ist das Herz?«
»Es ist ein Gefäß. Ich banne den Dämon hinein, dann vernichten wir es.«
»Brauchst du wieder meine Hilfe?«
»Diesmal nicht. Meine Kräfte sind so weit wiederhergestellt. Außerdem ist das Ritual zu gefährlich für dich.«
Inzwischen hatte Livia den größten Teil ihrer Sachen in die Kiste zurückgetan. Übrig geblieben waren eine Schriftrolle, ein Trankfläschchen, ein Gebilde, das Vivana für eine getrocknete Knolle oder Wurzel hielt, das Messer sowie ein Stückchen Kreide. »Aber du kannst mir ein bisschen unter die Arme greifen, wenn du willst«, sagte Livia, entrollte die Schriftrolle und beschwerte sie mit dem Trankfläschchen und dem Messer. »Hilf mir, die Runen abzuschreiben. So viele wie möglich, genau wie beim letzten Mal.«
Sie brach die Kreide entzwei. Vivana prägte sich die Zeichen und Symbole ein, die auf der Schriftrolle abgebildet waren. Es waren andere als bei der Beschwörung des Lichts. Dann machte sie sich an die Arbeit.
»Was ist unsere Aufgabe?«, fragte Madalin.
»Ihr haltet Liam fest, wenn es losgeht.«
Eine halbe Stunde später waren Boden und Wände der Gewölbekammer mit Symbolen übersät. Das Gewirr aus Kreidezeichen bot einen beklemmenden Anblick, doch Vivanas Unbehagen
hatte noch einen anderen Grund: Sie konnte spüren, dass sich der Raum mit einer unsichtbaren Kraft füllte, mit einer schwer fassbaren Präsenz, einem Knistern in der Luft, das darauf wartete, sich zu entladen.
Livia versuchte, Liams Mund zu öffnen. Sein Kiefer hatte sich verkrampft, sodass es ihr nicht auf Anhieb gelang. Sie zerbrach die Wurzel und schob ihm ein kleines Stück unter die Zunge.
»Wofür ist das?«, fragte Vivana.
Die Wahrsagerin gab keine Antwort. Sie war so in Konzentration versunken, dass sie sie womöglich gar nicht gehört hatte. Anschließend öffnete sie die Phiole und beträufelte Liam mit einer öligen Flüssigkeit, die scharf roch: zuerst auf die Stirn, dann auf die Brust und den Bauch und zum Schluss auf die Beine.
»Jetzt«, sagte sie und gab Madalin ein Zeichen, woraufhin der Manusch, Lucien, Vivanas Vater und Bajo vortraten und Liam an Armen und Beinen festhielten. Vivana wollte ihnen helfen, doch Livia hielt sie zurück.
»Du nicht. Der Dämon weiß, dass du das schwächste Glied der Kette bist. Dich greift er zuerst an, wenn er kann.«
Die Wahrsagerin stellte sich am Ende der Trage auf, legte Liam die Hand aufs Gesicht und begann, mit geschlossenen Augen zu murmeln. Sie gebrauchte die alte Sprache der Manusch, doch es waren auch Worte darunter, die anders klangen, ganz und gar fremdartig. Keine richtigen Silben, sondern seltsam kehlige Laute. Vivana spürte, wie sich die Energie im Raum um Liam zusammenzog. Ihr Herz klopfte schneller, und ihre Handflächen wurden feucht.
Ein kaum hörbares Flüstern erfüllte das Halbdunkel des Kellers. Mühsam
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