Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
hatte sie den ganzen Tag ihren Zorn an den Dienern ausgelassen und dem Koch einmal sogar wegen einer Lappalie ihre Reitgerte durchs Gesicht gezogen. Jackon wusste nicht, was schlimmer war: die ständigen Wutausbrüche oder diese gefährliche Ruhe.
Gerade als er zu hoffen wagte, dass sie endlich gehen durften, richtete sie ihren stählernen Blick auf ihn. »Hast du ihre Seelenhäuser beobachtet?«
»Ja. Natürlich, Herrin.«
»Und? Irgendein Hinweis, dass sie wieder träumen?«
Nachdem er entdeckt hatte, dass Liams Sternwarte wieder Träume enthielt, war er zu den Seelenhäusern von Quindal und Vivana gesprungen, wo er die gleiche Feststellung machte. In der vergangenen Nacht jedoch waren alle drei wieder leer gewesen. Bedeuten musste das nichts – vielleicht hatten sie tagsüber geschlafen.
Jackon hielt an seinem Entschluss fest, Lady Sarka nichts davon zu sagen, bis er mit Liam gesprochen hatte – auch wenn das bedeutete, sie anzulügen. Allerdings fiel es ihm schwerer als gedacht. Es war irgendwie … schäbig, nach allem, was sie für ihn getan hatte.
Er schluckte. »Nein. Nichts«, antwortete er. »Es tut mir leid, Herrin.«
Ahnte sie etwas? Offenbar nicht, denn sie wandte sich wortlos ab und schritt zur Treppe. »Kommt morgen Früh wieder«, befahl sie. »Ich verlasse mich darauf, dass ihr dann bessere Neuigkeiten habt.«
Jackon atmete auf. Er hatte dieses Verhör tatsächlich lebendig überstanden.
In diesem Moment öffnete sich das Portal.
»Wir haben sie«, sagte Corvas und betrat den Kuppelsaal. Bei ihm war Amander, der einen bodenlangen schwarzen Mantel und einen vornehmen Zylinder trug. Die Kleidung der beiden Männer war nass vom Regen und hinterließ Pfützen auf dem Marmor.
Lady Sarka fuhr herum. »Alle drei? Quindal, seine Tochter und den Jungen?«
»Ja. Meine Krähen haben sie gesehen. Sie sind im Labyrinth aufgetaucht. Offenbar verstecken sie sich dort bei einem Manusch namens Bajo. Der Alb – Lucien – ist auch bei ihnen.«
»Worauf wartest du noch? Nimm sie fest und schaff sie her.«
»Sehr wohl, Herrin.« Corvas neigte den Kopf und schritt mit Amander zum Portal.
»Ihr beide geht mit ihnen«, wandte sich Lady Sarka an Umbra und Jackon. »Und wehe euch, ihr lasst sie entkommen.«
Ohne zu zögern folgte die Leibwächterin den Männern. Jackons Gedanken rasten. Nun geschah, wovor er sich seit Tagen fürchtete. Wenn sich Liam erst in der Gewalt von Corvas und seinen Spiegelmännern befand, hatte er keine Chance mehr, ihm zu helfen und die drohende Katastrophe abzuwenden. Er musste mit ihm reden, jetzt sofort. Vielleicht hatte er Glück und sein Freund schlief gerade. Nachdem Liam eine volle Nacht nicht geträumt hatte, war das nicht allzu unwahrscheinlich.
»Worauf wartest du?«, fuhr Lady Sarka ihn an. »Geh schon.«
Jetzt musste er schon wieder lügen. Dabei war das nicht gerade sein Spezialgebiet. »Ich glaube, ich fühle mich nicht wohl«, murmelte er, ohne ihr in die Augen zu sehen. »Ich habe wohl etwas Falsches gegessen. Wenn Ihr erlaubt, lege ich mich hin.«
Zornig presste sie die Lippen zusammen. »Soll ich Doktor Addock rufen?«, fragte sie barsch.
»Nein. Nicht nötig. Ich brauche nur ein bisschen Ruhe.« Jackon schlurfte davon und versuchte, so krank wie möglich auszusehen. Vielleicht hielt sie das schlechte Gewissen in seinem Gesicht ja für die ersten Anzeichen von Schwindel und Übelkeit.
Er spürte ihren Blick in seinem Rücken, bis er den Saal verließ und die Spiegelmänner das Portal hinter ihm schlossen.
35
Der Maschinendom
R atten! Ratten! Überall Ratten!«, murmelte der Mann mit aufgerissenen Augen. Schwankend torkelte er den Tunnel entlang, in der Hand eine Laterne, die schon lange erloschen war. Sein Haar klebte am Schädel und war so schmutzig wie sein Gesicht und der braune Overall, den er trug. Vielleicht ein Kanalarbeiter oder ein Mechaniker aus einer der Manufakturen. Er nahm keinerlei Notiz von Vivana und ihren Gefährten, taumelte an ihnen vorbei und verschwand brabbelnd in der Dunkelheit.
Vivana lief ein Schauder über den Rücken. Offenbar irrte der arme Kerl seit Tagen hier unten umher, verängstigt und wahnsinnig. Ein Opfer des Durcheinanders, das in den Träumen herrschte.
»Wir können nichts für ihn tun«, sagte Godfrey. »Weiter.«
Sie folgten dem Aethermann einen stillgelegten Abwasserkanal entlang. Trockener Schlamm klebte in der Rinne neben dem begehbaren Sims. Es stank so sehr, dass man kaum atmen konnte. Dumpfes Wummern und
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