Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
Felswände aus, als hätte ein verrückter Maler in der Schlucht seiner Phantasie freien Lauf gelassen.
Ein zorniger Schrei erklang. Vivana hob den Kopf und sah Nachach einen Steinwurf von dem Geröllhaufen entfernt seine Peitsche schwingen. Kriegerdämonen und Kynokephale stürmten den Hang hinauf. Die Manusch und ihr Vater beschossen sie mit ihren Armbrüsten. Lucien schleuderte ein Wurfmesser und traf einen Dämon am Kopf.
Vivana schluckte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Nicht aufhören!«, befahl Tante Livia. »Das genügt noch nicht!«
Vivana schrieb, bis ihre Hand schmerzte. Bei dem Geschrei ihrer Gefährten und dem Krächzen und Zirpen der Dämonen war es nahezu unmöglich, sich auf die Zeichen zu konzentrieren. Sie konnte nicht anders, als immer wieder aufzublicken und den Kampf zu beobachten.
Ihre Gefährten verteidigten erbittert die Schlucht. Glücklicherweise ging Madalins Plan auf: Wegen der Engstelle konnten immer nur zwei oder drei Dämonen gleichzeitig angreifen, wodurch sich Nachachs Übermacht nicht auswirkte. Armbrustbolzen sirrten durch die Luft und streckten Angreifer um Angreifer nieder; mehr als ein Dutzend Dämonen lag bereits tot oder verletzt auf dem Pfad. Wenn es einer der Kreaturen trotzdem gelang, die Schlucht zu erreichen, streckten sie Nedjo und Jovan mit Säbel- und Keulenhieben nieder. Vivanas Vater packte einen spitzohrigen Wicht mit seiner mechanischen Hand und schleuderte ihn durch die Luft. Ruac schnappte nach einem Krieger und biss ihm den Arm ab. Wenigstens , dachte sie mit finsterer Genugtuung, muss ich mir jetzt nicht mehr überlegen, wie ich Futter für ihn auftreibe.
Doch es war abzusehen, dass ihre Gefährten nicht ewig durchhalten würden – dafür war die Zahl der Dämonen einfach zu groß. Sandor konnte schon nicht mehr mitkämpfen. Der Manusch kauerte bleich und verletzt auf dem Boden und biss die Zähne zusammen, während Madalin einen Umhang zerriss und eine böse Schnittwunde an seinem Arm verband.
Ich muss sie retten , dachte Vivana und schrieb umso hektischer.
»Das muss genügen.« Tante Livia stand auf. Überall bedeckten die bizarren Runen des Verlorenen Volkes die Erde und die
Wände der Schlucht. »Stell dich dorthin und tu, was ich dir gesagt habe. Du musst spüren, wie sich die Macht des Lichts in dir sammelt. Wenn der richtige Moment gekommen ist, gib sie frei.«
Vivana wusste, dass es blanker Wahnsinn war, was sie da tat. Die Wahrsager der Manusch verbrachten Monate und Jahre damit, die alten Zauber und Rituale zu lernen. Und sie versuchte, die Magie innerhalb weniger Minuten zu meistern. Es konnte nur schiefgehen.
Tante Livia hatte ein Zeichen auf den Boden gemalt, das größer als die anderen Symbole war: eine Art Drudenfuß, ein Neuneck, das aus einem Gewirr von Linien und Kreisen bestand. Breitbeinig stellte sich Vivana darauf.
Das Kampfgeschrei war verstummt. Nachach hatte seine Blutsklaven zurückgerufen und um sich geschart. Offenbar hatte der Dämonenfürst begriffen, dass er mit seiner bisherigen Taktik nicht weiterkam. Seinem Gebrüll und seinen herrischen Gesten nach zu schließen, plante er, die Schlucht mit all seinen Dämonen zu stürmen, gleichgültig, wie viele Gefolgsleute er dadurch verlor.
Alle Augen waren auf Vivana gerichtet. In den Gesichtern der Manusch las sie Hoffnung und Sorge, in der Miene ihres Vaters blanke Angst. Nur Luciens Zuversicht war ungebrochen. Als er ihr zuzwinkerte, wusste sie, dass sie es schaffen würde.
Sie schloss die Augen. Stellte sich ihre Gefährten vor, ihre Stimmen, ihre Art zu lachen und Geschichten zu erzählen. Dachte daran, wie sich die Manusch selbst in Zeiten der Not umeinander kümmerten, ohne je einen Lohn dafür zu erwarten. Wie Onkel Madalin und seine Brüder im letzten Winter zwei Tage nichts gegessen hatten, damit seine Familie den Arzt bezahlen konnte, den seine Kinder so dringend benötigten. Oder wie Nedjo einmal grün und blau geschlagen worden
war, weil er ein wildfremdes Mädchen vor zwei aufdringlichen Soldaten beschützt hatte.
Dutzende solcher Geschichten fielen Vivana ein, wenn sie an die Manusch dachte, Geschichten voller Mut und Liebe, denn jeder Einzelne von ihnen wäre jederzeit bereit gewesen, sich für das Wohlergehen der anderen in die größte Gefahr zu stürzen.
Wärme begann durch ihren Körper zu strömen, durch ihre Arme und Beine, ihr Blut und ihre Knochen, und sammelte sich in ihrer Brust. Die Schriftzeichen erwachten zum Leben – es fühlte sich an
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