Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
ragte daraus hervor wie eine Insel aus einem dunstigen Tümpel. Ein gusseiserner Zaun umgab den Friedhof, umrankt von Kletterpflanzen und verwildertem Brombeergestrüpp. Das Tor quietschte, als sie es öffnete.
Es war ein verlassenes Grundstück, wie es so viele in Scotia gab, vergessen von den Bewohnern des Viertels, obwohl sie Tag für Tag daran vorbeigingen. Efeu und Unkraut überwucherten die Gräber. Ein Weg aus geborstenen Steinplatten, bedeckt von fauligem Laub, führte zur Kirche.
Die Fenster des Gotteshauses waren vernagelt. Tauben nisteten im Dachgebälk. Das Querschiff war teilweise eingestürzt, ebenso der Altarraum. Lediglich der Glockenturm schien einigermaßen intakt zu sein. Umbra blickte zur Turmspitze auf und wusste plötzlich, wo sie Mama Ogda finden würde. Harpyien liebten hochgelegene Orte.
Sie machte einen Schritt über eine zerbrochene Tessarionstatue und stieg die Stufen zum Kirchenportal hinauf. Ein Türflügel stand ein Stück offen. Vorsichtig schob sie sich durch den Spalt.
Modergeruch umfing sie. Haufen aus Schutt, zersplitterte Dachschindeln und vom Wind hereingewehte Blätter bedeckten den Granitboden. Das Kirchengestühl stand kreuz und quer zwischen den Säulen und war weitgehend zerstört, so als hätte jemand die Bänke mutwillig mit einer Axt zerschlagen.
Während Umbra wachsam den Saal durchquerte, suchte sie den Boden nach Spuren ab. Nichts. Kein Geräusch störte die Stille dieses Ortes. Sogar die Laute der erwachenden Stadt waren im Zwielicht des Kirchenschiffs kaum zu hören.
Sie fand den Zugang zum Turm und zögerte. Nein, kein Schattentor. Sie wusste nicht, was sie dort oben erwartete.
So leise, wie es die verrosteten Angeln zuließen, öffnete sie die Pforte, erklomm die enge Wendeltreppe und gelangte in den Glockenstuhl. Taubendreck klebte auf den morschen Balken. Die Glocken waren fort, vermutlich gestohlen. Zinn und Bronze waren begehrte Werkstoffe in den Handwerksstuben des Viertels.
Umbra kletterte eine Leiter hinauf, deren Sprossen bedenklich knarrten, und versetzte der Dachluke einen Stoß. Die verzogene Holzklappe flog auf, und Umbra blickte in eine Kammer im Gebälk der Turmspitze.
Meckerndes Lachen tönte aus den Schatten.
Umbra zwängte sich durch die Öffnung. Die Dachkammer war so niedrig, dass sie den Kopf einziehen musste. Durch ein winziges Bleiglasfenster mit milchigen Scheiben fiel Licht auf Kisten voller Phiolen und Fläschchen mit schillerndem Inhalt. Neben einem Tischchen mit Teegeschirr kauerte Mama Ogda krötengleich auf einem Lager aus Kissen, saugte an einer Wasserpfeife und blies einen formvollendeten Rauchring. Sie wirkte nicht im Mindesten überrascht.
»Ich dachte mir schon, dass du irgendwann hier auftauchen würdest. Jackon hat dir also gesagt, was
wirklich
passiert ist.« Ihre Äuglein funkelten. »Du wirst verstehen, dass ich dich nicht in meinem Laden empfangen konnte. Ich musste davon ausgehen, dass deine Herrin erfährt, was der Junge erzählt hat. Du weißt ja, wie sie ist. Wer ihr auf die Schliche kommt, bekommt schon in der nächsten Nacht Besuch von ihren Mördern. Sag mir, wie hat sie es aufgenommen, als du sie gefragt hast, ob sie hinter dem Massaker an deiner Familie steckt? Hat sie alles abgestritten? Es als böswillige Verschwörung abgetan? Hat sie behauptet, man wolle dich nur gegen sie aufbringen?«
Umbras Wut vergrößerte ihre Kräfte noch. Blitzschnell wuchs ihr Schatten, zwei rauchartige Arme schossen vor und umschlangen Mama Ogda. Die Harpyie strampelte und stieß die Wasserpfeife und das Tischchen um, als Umbra sie hochhob.
»Du sagst mir jetzt genau, was Jackon gesehen hat, oder ich töte dich.«
»Lass mich runter«, krächzte Mama Ogda. »Du bekommst alles, was du willst!«
Umbra ließ von ihr ab, und sie plumpste wie ein Beutel voller Schweinespeck auf die Kissen.
»Immer musst du so grob sein«, zischte die Harpyie, während sie sich aufrappelte. »Hättest du mich damals im Rattennest anständig behandelt, wärst du nie in diese Lage gekommen. Ich hätte dir vielleicht sogar geholfen. Starr mich nicht so böse an. Dass es dir so dreckig geht, hast du dir selbst zuzuschreiben.«
Sie schlurfte zu ihren Kisten. »Du kannst von Glück sagen, dass ich nicht so sorglos gewesen bin, eine solch wichtige Erinnerung aus der Hand zu geben, ohne mich abzusichern. Ich habe sie schon vor Jahren dupliziert.« Mama Ogda holte eine Rauchglasphiole hervor und blickte Umbra verschlagen an. »Wenn du willst, kannst
Weitere Kostenlose Bücher