Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
kooperieren und meine Fragen zu beantworten.«
»Ich will meine Tochter sehen. Bitte!«. Simone fing plötzlich an zu schluchzen, und Tränen rollten über ihre Wangen.
Stefan König war zwar im Umgang mit Angehörigen in emotionalen Extremsituationen geschult, dennoch ging ihm die Verzweiflung der Betroffenen jedes Mal nahe. Sein harter Gesichtsausdruck, für den er bekannt war, nahm dann weichere Züge an.
»Lassen Sie mich wenigstens mit ihr sprechen!«
»Es gibt Vorschriften. Ich darf keine Ausnahme machen«, antwortete König nüchtern, obwohl es ihm in der Seele leidtat, eine verzweifelte Mutter, die sich um ihr Kind sorgte, derart zurückzuweisen. Er war verheiratet und hatte selbst zwei Kinder, eine achtjährige Tochter und einen neunjährigen Sohn.
Königs Handy klingelte. Er nahm den Anruf entgegen, lauschte eine Weile konzentriert den Worten seines Gesprächspartners und sagte schließlich: »Ja, in Ordnung.« Nachdem er das Telefonat beendet hatte, wandte er sich wieder Simone zu. »Es gibt gute Nachrichten. Sie werden in Kürze die Möglichkeit haben, mit Ihrer Tochter zu telefonieren.«
Simone wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Ihre Gesichtszüge entspannten sich etwas.
»Die politisch Verantwortlichen wollen sich so kurz vor den Wahlen keine unmenschlichen Methoden nachsagen lassen«, fügte er hinzu.
Insgeheim hegte er Abscheu gegen die Politikerkaste und ihre strategischen Entscheidungen, sonst hätte er sich nicht zu dieser persönlichen Aussage verleiten lassen. Doch die Anordnungen von oben zogen ständig unliebsame Folgen nach sich, was er und seine Kollegen ausbaden mussten. Am Telefon hatte man ihm gerade mitgeteilt, dass der Bürgermeister auf Druck der Öffentlichkeit und der Medien kurzfristig die Aufhebung der Nachrichtensperre angeordnet hatte. König war überzeugt, dass man zu dieser Entscheidung gelangt war, um unliebsamen Fragen der Reporter auf der Pressekonferenz zuvorzukommen.
»Wir sind gerade dabei, alle Bewohner des Gebäudes zu identifizieren«, erklärte er Simone. »Diejenigen, die sich momentan nicht darin aufhalten, sollen wir suchen und dafür sorgen, dass sie eingehend medizinisch untersucht werden. Nachdem Sie mit Ihrer Tochter gesprochen haben, wird ein Notarztwagen Sie ins Virchow-Klinikum bringen.«
»Von dort komme ich gerade her«, entgegnete Simone. Der sarkastische Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
König schaute sie fragend an.
»Ich putze dort.«
Er verstand und nickte.
»Was passiert mit den Menschen im Gebäude?«, wollte sie wissen. »Was wird mit meiner Tochter?«
»Wir sind bemüht, deren medizinische Versorgung sicherzustellen.« Das war eine elegante Umschreibung dafür, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Ärzte-Team einen Fuß ins Gebäude gesetzt hatte. König war nicht wohl bei seiner Aussage, denn es gab noch keine Informationen, wann dies geschehen würde, und was er gerade erklärt hatte, fühlte sich für ihn wie eine Lüge an.
Simone holte das Portemonnaie aus ihrer Handtasche, öffnete es und zog daraus ein Foto hervor, das sie König hinhielt. »Das ist meine Tochter Naomi. Bitte versprechen Sie mir, dass Sie sich um sie kümmern werden, falls Sie sie sehen sollten – und sorgen Sie dafür, dass ihr nichts Schlimmes geschieht!«
»Ich werde mein Bestes tun, Frau Sabelmann, das verspreche ich Ihnen«, antwortete König, nahm das Foto und steckte es in seine Brieftasche. Im selben Moment musste er an den bescheuerten Satz von Mahler denken: Etwas anderes sind wir von unserer Berliner Polizei aber auch nicht gewohnt …
31
Aus zwei zerschnittenen weißen Betttüchern und zwei Besenstielen hatten Naomi und Witter ein Transparent gebastelt und mit schwarzem Filzstift darauf geschrieben: Wir sind nicht krank! – Holen Sie uns hier raus! Sie rollten es ein und gingen damit ins Wohnzimmer. Jimmy lag auf der Couch und starrte zur Decke. Auf seinem Bauch lag die leere Wodkaflasche, die er mit der linken Hand noch fest umklammerte.
»Wir gehen hoch aufs Dach. Kommst du mit?«, fragte ihn Naomi.
Statt zu antworten, entgegnete er: »Hast du irgendwo noch eine Flasche von dem Zeug?«, und schwenkte die Flasche in der Luft herum. Er war schon angetrunken.
»Nein, ich glaube nicht«, erwiderte Naomi. Es hatte keinen Sinn, Jimmy ein zweites Mal zu fragen.
»An eurer Stelle würde ich da nicht raufgehen!«, schrie er ihnen hinterher, als sie zur Tür gingen.
Naomi drehte sich in der Diele um und rief: »Die
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