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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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auf einer der Bänke schläft und dann, immer noch schlafend, von Squirrel hinausgetragen wird; Raven, die auf einer Bank steht und eine Rede über die Freiheit hält. Sie lacht auch, ihr Haar ein glänzender Vorhang, und dann hilft Tack ihr herunter: braune Hände an ihrer Taille, ein kurzes Innehalten, als sie in seinen Armen in der Luft schwebt. Ich muss an Vögel denken und daran, davonzufliegen. Ich muss an Alex denken.
    Eines Tages wendet sich Raven an mich und sagt mit scharfem Tonfall: »Wenn du bei uns bleiben willst, musst du arbeiten.«
    »Ich arbeite doch«, sage ich.
    »Du putzt«, erwidert sie. »Du kochst das Wasser ab. Wir anderen schleppen Wasser, suchen nach Essen, halten Ausschau nach Nachrichten. Sogar Grandma schleppt Wasser – zwei Kilometer weit mit schweren Eimern. Und sie ist schon sechzig.«
    »Ich …« Sie hat natürlich Recht und das weiß ich auch. Ich habe täglich Schuldgefühle. Ich habe gehört, wie Tack zu Raven gesagt hat, man verschwende ein gutes Bett an mich. Anschließend habe ich fast eine halbe Stunde im Lagerraum gehockt, die Arme um die Knie geschlungen, bis ich aufhörte zu zittern. Hunter ist der Einzige hier, der nett zu mir ist, aber er ist zu allen nett.
    »Ich bin noch nicht so weit. Ich bin nicht kräftig genug.«
    Sie sieht mich einen Augenblick an, während sich die Stille zwischen uns unbehaglich ausbreitet, so dass ich die Absurdität meiner Worte direkt spüren kann. Wenn ich immer noch nicht kräftig genug bin, ist das auch meine Schuld. »Wir gehen bald weg hier. In ein paar Wochen ziehen wir weiter. Jeder muss mithelfen.«
    »Wir gehen weg?«, wiederhole ich.
    »Nach Süden.« Sie dreht sich um und macht sich auf den Weg den Flur entlang. »Wir schließen diesen Stützpunkt über den Winter. Und wenn du mitkommen willst, wirst du helfen.«
    Dann bleibt sie stehen. »Du kannst natürlich auch hierbleiben«, sagt sie, während sie sich zu mir umdreht und eine Augenbraue hochzieht. »Die Winter hier sind allerdings tödlich. Wenn der Fluss zufriert, kriegen wir keine Vorräte. Aber vielleicht willst du genau das?«
    Ich antworte nicht.
    »Bis morgen kannst du es dir überlegen«, sagt sie.
    Am nächsten Morgen rüttelt Raven mich aus einem Albtraum wach. Keuchend setze ich mich auf. Ich kann mich daran erinnern, gefallen zu sein, und an eine Menge schwarzer Vögel. Alle anderen Mädchen und Frauen schlafen noch und der Raum wird von ihrem gleichmäßigen Atmen angefüllt. Draußen im Flur brennt offenbar eine Kerze und schickt ein kleines bisschen Licht ins Zimmer. Ich kann gerade so Ravens Umriss erkennen, die vor mir hockt, und bemerke, dass sie bereits angezogen ist.
    »Wofür hast du dich entschieden?«, flüstert sie.
    »Ich will bei euch bleiben«, flüstere ich zurück, weil es das Einzige ist, was ich sagen kann. Mein Herz klopft immer noch heftig in meiner Brust.
    Ich kann ihr Lächeln nicht sehen, glaube aber es zu hören: ihre Lippen, die sich öffnen, ein kleiner Luftstoß, der ein Lachen sein könnte. »Gut für dich.« Sie hält einen zerbeulten Eimer hoch. »Zeit zum Wasserholen.«
    Raven zieht sich zurück und ich taste im Dunkeln nach meinen Kleidern. Als ich gerade im Stützpunkt angekommen war, machte das Schlafzimmer einen chaotischen Eindruck auf mich, wirkte wie eine Explosion aus Stoff, Kleidern und diversen Habseligkeiten. Mit der Zeit ist mir klar geworden, dass es in Wirklichkeit gar nicht so unordentlich ist. Jeder hat einen kleinen, definierten Bereich für seine Sachen. Wir haben unsichtbare Kreise um unsere Betten oder Decken oder Matratzen gezogen und jeder verteidigt seinen Raum energisch wie ein Hund, der sein Territorium markiert. Man muss alles, was man besitzt und braucht, in seinem Kreis aufbewahren. Sobald es diesen Fleck verlässt, gehört es einem nicht mehr. Die Kleider, die ich mir aus dem Lagerraum ausgesucht habe, liegen zusammengefaltet am Fuß meiner Decke.
    Ich taste mich aus dem Zimmer und den Flur entlang. In der Küche schürt Raven das Feuer von gestern Abend mit dem stumpfen, verkohlten Ende eines langen Stocks. Hinter ihr stehen ein paar leere Eimer. Die Lampen hat sie noch nicht angemacht. Das wäre Batterieverschwendung. Der Geruch nach rauchendem Holz, die leicht flackernden Schatten, Ravens Schultern, die von einem orangefarbenen Glühen überzogen sind – all das gibt mir das Gefühl, noch nicht ganz aus meinem Traum erwacht zu sein.
    »Fertig?« Sie richtet sich auf, als sie mich hört, und hängt

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