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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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weiß, es ist nicht Ravens Schuld – es sind die Leute jenseits des Zauns, sie sind es, die Zombies, meine Leute von früher –, aber die Wut lässt einfach nicht nach. Sie brennt ein Loch in meine Kehle.
    Fünfhundert Meter vom Stützpunkt entfernt ist eine Schlucht, wo irgendwann mal ein Fluss gewesen sein muss. Dort legen wir Miyako ab und Raven bespritzt sie mit Benzin. Nur ein bisschen, wir haben nicht viel. Es schneit inzwischen stärker. Erst brennt sie nicht. Blue fängt laut zu weinen an und Grandma zieht sie abrupt weg und sagt: »Sei still, Blue. Das hilft uns nicht weiter.« Blue presst ihr Gesicht gegen Grandmas zu große Kordjacke und ihr Schluchzen wird leiser. Sarah schweigt, ihr Gesicht ist weiß und sie zittert.
    Raven übergießt die Leiche mit mehr Benzin und schließlich gelingt es ihr, sie anzuzünden. Die Luft ist umgehend mit beißendem Rauch und dem Geruch nach verbrannten Haaren angefüllt. Das Geräusch ist fürchterlich, ein Knacken, das einen daran denken lässt, wie Fleisch sich von Knochen löst. Noch bevor Raven die Grabrede beendet hat, muss sie würgen. Ich wende mich ab, in meinen Augen brennen Tränen – vom Rauch oder von der Wut, ich weiß es nicht.
    Plötzlich habe ich den heftigen Drang, zu graben, in der Erde zu wühlen, sie aufzuhacken. Ich kehre blind und taub zum Unterschlupf zurück. Es dauert eine Weile, bis ich die Baumwollshorts und das alte, zerfetzte T-Shirt, das ich bei meiner Ankunft in der Wildnis getragen habe, wiederfinde. Wir haben das T-Shirt als Geschirrtuch benutzt. Dies sind die einzigen Gegenstände, die noch von früher übrig sind – die Überbleibsel meines alten Lebens.
    Die anderen haben sich jetzt in der Küche versammelt. Bram schürt das Feuer. Raven bringt Wasser in einem Topf zum Kochen, sicher um Kaffee zu machen. Sarah mischt einen Stapel Karten, die von der Feuchtigkeit verzogen und voller Eselsohren sind. Alle anderen sitzen schweigend da.
    »Hallo, Lena«, sagt Sarah, als ich an ihr vorbeimaschiere. Ich habe mir die Shorts und das T-Shirt unter die Jacke gestopft und halte die Arme vor dem Bauch verschränkt; aus irgendeinem Grund möchte ich nicht, dass jemand mitbekommt, was ich tue, am wenigsten Raven. »Hast du Lust, Spit zu spielen?«
    »Jetzt nicht«, knurre ich sie an. Die Wildnis macht uns auch gemein. Gemein und hart, ganz kantig.
    »Wir könnten auch was anderes spielen«, sagt sie. »Wir könnten …«
    »Ich hab Nein gesagt.« Dann laufe ich die Treppe hinauf, bevor ich mit ansehen muss, dass ich sie verletzt habe.
    Die Luft ist dick: weiß und verschwommen. Einen Augenblick betäubt mich die Kälte und ich stehe blinzelnd und verwirrt da. Überall sprießt eine Schicht Schnee, ein flaumiger Wuchs. Ich kann immer noch Miyakos verbrennenden Körper riechen. Und ich stelle mir vor, dass zusammen mit dem Schnee auch Asche über uns hinwegfliegt. Ich bilde mir ein, dass sie uns im Schlaf bedeckt, uns in unserem Unterschlupf einschließt und uns dort unter der Erde erstickt.
    Am Rand des Stützpunkts steht ein Wacholder, an dem ich immer meine Läufe beginne und beende. Darunter hat sich kaum Schnee angesammelt. Auf dem Boden liegt nur eine dünne Schicht, die ich mit dem Jackenärmel wegwische.
    Dann grabe ich.
    Ich bohre meine Finger in die Erde. Die Wut und die Trauer pochen immer noch hinter meinen Augen und ich habe eine Art Tunnelblick. Ich spüre noch nicht mal die Kälte oder den Schmerz in meinen Händen. Dreck und Blut verkrusten meine Fingernägel, aber das macht mir nichts aus. Ich vergrabe die letzten, zerfetzten Teile von mir dort unter dem Wacholderstrauch im Schnee.
    Zwei Tage nachdem wir Miyako verbrannt haben, hat es immer noch nicht aufgehört zu schneien. Raven mustert jeden Tag nervös den Himmel und flucht leise. Es ist Zeit aufzubrechen. Lu und Squirrel, die ersten beiden Kundschafter, sind bereits zurück. Der Stützpunkt ist größtenteils zusammengepackt, obwohl wir immer noch Lebensmittel und Vorräte aus dem Fluss holen und versuchen zu jagen und in den Fallen so viel Beute wie möglich zu machen. Aber der Schnee erschwert die Sache. Die Tiere bleiben in ihren Verstecken.
    Sobald die übrigen Kundschafter zurückkehren, werden wir aufbrechen. Sie müssten jetzt bald kommen – das sagen wir alle Raven, um ihre Nervosität zu lindern. Der Schnee fällt langsam und stetig, er verwandelt die Welt in eine einzige weiße Schneewehe.
    Ich habe angefangen, täglich zu den Nestern zu gehen, um nachzusehen,

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