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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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geworden – und klingt überhaupt nicht mehr wie Grillen. Eher wie Hornissen.
    Wie Motoren.
    Meine Lunge brennt, meine Brust schmerzt und Tränen steigen mir in die Augen, während ich auf den Stützpunkt zustolpere. Ich würde am liebsten schreien. Ich würde am liebsten Flügel bekommen und fliegen. Und einen Augenblick denke ich: Vielleicht war alles nur ein Missverständnis. Vielleicht passiert gar nichts Schlimmes.
    Da wird das Brummen zu einem Dröhnen und über den Bäumen sehe ich das erste Flugzeug kreischend am Himmel kreisen.
    Nein. Ich bin es, die kreischt.
    Ich kreische beim Rennen. Ich kreische, als die ersten Bomben fallen und die Wildnis um mich herum in Flammen aufgeht.

jetzt
    U
nter Schmerzen öffne ich die Augen. Einen Moment besteht alles nur aus Farbwirbeln und ich gerate total in Panik – wo bin ich? Was ist passiert? –, aber dann werden Formen und Umrisse deutlich. Ich liege in einem fensterlosen steinernen Raum auf einer Pritsche. In meiner Verwirrung denke ich, dass ich es vielleicht zurück zum Unterschlupf geschafft habe und mich im Krankenzimmer befinde.
    Aber nein. Dieser Raum ist kleiner und schmutziger. Es gibt keine Waschbecken und nur einen Eimer in der Ecke, und die Matratze, auf der ich liege, ist fleckig, dünn und ohne Laken.
    Dann fällt es mir wieder ein: die Kundgebung in New York. Der U-Bahn-Eingang, der schreckliche Anblick der toten Leibwächter. Ich erinnere mich an die raue Stimme: Nicht so schnell.
    Ich versuche mich aufzusetzen und muss sofort die Augen schließen, überwältigt vom Druck in meiner Stirn, als steckte dort ein Messer.
    »Wasser hilft.«
    Diesmal schaffe ich es, mich aufzurichten, und drehe mich trotz des Schmerzes herum. Hinter mir, ebenfalls auf einer schmalen Pritsche, sitzt Julian Fineman, den Kopf an die Wand gelehnt, und sieht mich aus schweren Augen an. Er reicht mir eine Blechtasse.
    »Das haben sie vorhin gebracht«, sagt er. Von seiner Augenbraue bis zum Kiefer verläuft eine lange, schmale, blutverkrustete Schnittwunde und links an der Stirn, direkt unter dem Haaransatz, hat er einen Bluterguss. Auch in der Lippe hat er einen Schnitt. Von der Decke des Raumes hängt eine kleine Glühbirne und in ihrem weißen Licht haben Julians Haare die Farbe von frischem Stroh.
    Mein Blick huscht unwillkürlich zur Tür hinter ihm, aber er schüttelt den Kopf. »Von außen abgeschlossen.«
    Aha. Gefangene also.
    »Wer sind sie ?«, frage ich, obwohl ich es weiß. Es müssen Schmarotzer sein. Ich muss an diesen höllischen Anblick im Tunnel denken, ein Wachmann gehängt, ein anderer mit dem Messer im Rücken … das kann niemand außer den Schmarotzern getan haben.
    Julian schüttelt den Kopf. Ich sehe, dass er auch am Hals Blutergüsse hat. Sie haben ihn offensichtlich gewürgt. Seine Jacke ist weg und sein Hemd zerrissen; um seine Nasenlöcher herum klebt ebenfalls getrocknetes Blut, etwas davon ist auf sein Hemd getropft. Aber er wirkt überraschend ruhig. Die Hand, mit der er die Tasse hält, zittert nicht.
    Nur seine Augen sind wie elektrisiert, ruhelos – so lebhaft, unglaublich blau, wachsam und konzentriert.
    Ich strecke die Hand nach der Tasse aus, aber im letzten Moment zieht er sie ein winziges Stück zurück.
    »Ich hab dich schon mal gesehen«, sagt er, »bei der Versammlung.« In seinen Augen blitzt etwas auf. »Du hast deinen Handschuh verloren.«
    »Ja.« Ich strecke erneut die Hand nach der Tasse aus.
    Das Wasser schmeckt nach Moos, aber es fühlt sich wunderbar in meiner Kehle an. Sobald ich einen Schluck getrunken habe, merke ich, wie durstig ich bin. Es gibt nur sehr wenig, doch ich stürze den Großteil in einem Zug hinunter, bevor mir klar wird, dass Julian vielleicht auch etwas möchte. Es ist nur noch ein Fingerbreit Wasser übrig und ich biete ihm schuldbewusst die Tasse an.
    »Trink es ruhig aus«, sagt er und das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich spüre seinen Blick auf mir und als ich ihn ansehe, merke ich, dass er die dreizackige Narbe an meinem Hals anstarrt. Sie scheint ihn zu beruhigen.
    Erstaunlicherweise habe ich immer noch meinen Rucksack. Aus irgendeinem Grund haben ihn mir die Schmarotzer nicht abgenommen. Das gibt mir Hoffnung. Sie mögen grausam sein, aber offensichtlich haben sie nicht viel Übung darin, Leute zu entführen. Ich hole einen Müsliriegel heraus, überlege es mir dann aber anders. Ich bin noch nicht am Verhungern und habe keine Ahnung, wie lange ich in diesem Rattenloch festsitzen werde. In

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