Pandemonium
Graffiti bedeckt.
Als wir an den Gleisen entlang vorwärtsgehen, drehen sich die Leute nach uns um und starren uns an. Sie sind alle in irgendeiner Form verkrüppelt oder versehrt. Vielen von ihnen fehlen Gliedmaßen oder sie haben andere Missbildungen: verkümmerte Kinderhände, seltsame Geschwüre im Gesicht, verkrümmte Wirbelsäulen oder verkrüppelte Beine.
»Rauf«, sagt der Rattenmann und zeigt mit dem Kinn auf den viel zu hohen Bahnsteig.
Julian sind immer noch die Hände auf den Rücken gebunden. Zwei der größeren Männer auf dem Bahnsteig treten vor, greifen ihn unter den Achseln und heben ihn so hinauf. Der oder die Bucklige bewegt sich erstaunlich behände. Ich erhasche einen Blick auf starke Arme und zierliche, schmale Handgelenke. Also eine Frau.
»Ich … ich kann nicht«, sage ich. Die Leute auf dem Bahnsteig haben jetzt innegehalten. Sie starren Julian und mich an. »Es ist zu hoch.«
»Rauf«, wiederholt der Rattenmann. Ich frage mich, ob das die einzigen Wörter sind, die er kennt – steh auf, los, rauf.
Der Bahnsteig ist auf der Höhe meiner Augen. Ich lege die Hände flach auf den Beton und versuche mich hochzuziehen, aber ich bin viel zu schwach. Ich rutsche wieder ab.
»Sie ist verletzt«, ruft Julian. »Seht ihr das nicht? Um Gottes willen – wir müssen hier raus.«
Es ist das erste Mal, dass er etwas sagt, seit uns die Schmarotzer eingefangen haben, und seine Stimme ist voller Schmerz und Angst.
Der Rattenmann schiebt mich wieder zum Bahnsteig, aber diesmal kommen wie auf ein geheimes Zeichen hin einige der Zuschauer gleichzeitig auf uns zu. Sie gehen an der Bahnsteigkante in die Hocke und strecken die Arme aus. Ich will mich ihnen entwinden, aber der Rattenmann steht hinter mir. Er packt mich fest um die Taille.
»Aufhören!« Julian versucht sich von seinen Entführern zu befreien, doch die beiden Männer, die ihm auf den Bahnsteig geholfen haben, halten ihn immer noch fest. »Lasst sie los!«
Hände packen mich aus allen Richtungen. Monströse Gesichter rücken drohend von oben näher.
Julian schreit immer noch: »Hört ihr mich nicht? Hände weg! Lasst sie los!«
Eine Frau kommt durch die Menge auf mich zu. Ihr scheint ein Teil des Gesichts zu fehlen; ihr Mund ist zu einem schrecklichen Grinsen verzerrt.
Nein. Ich will schreien. Hände packen mich, heben mich auf den Bahnsteig. Ich trete um mich und werde losgelassen. Ich lande hart auf der Seite und drehe mich auf den Rücken. Die Frau mit dem halben Gesicht beugt sich über mich. Sie streckt beide Hände nach mir aus.
Sie wird mich erwürgen.
»Lass mich in Ruhe!«, kreische ich, während ich um mich trete und versuche sie wegzustoßen. Mein Kopf schlägt auf dem Bahnsteig auf und ein Farbregen explodiert vor meinen Augen.
»Halt still«, sagt sie beruhigend – melodiös, als würde sie ein Schlaflied singen –, als der Schmerz nachlässt, genau wie das Schreien, und ich in Nebel versinke.
damals
W
ir laufen auseinander wie gejagte Tiere, in wilder Panik. Wir haben keine Zeit, unsere Waffen zu laden, und wir haben keine Zeit zu kämpfen. Mein Messer ist in meinem Rucksack – und damit nutzlos. Keine Zeit, es rauszuholen. Die Schmarotzer sind schnell und stark: Sie kommen mir größer vor als normale Leute, größer, als jemand sein sollte, der in der Wildnis lebt.
»Hier lang! Hier lang!« Raven läuft vor mir und zieht Sarah hinter sich her. Sarah ist völlig verängstigt und kann kaum mit Raven mithalten, sie stolpert im Schnee.
Entsetzen ist der Herzschlag, der in meiner Brust trommelt. Hinter uns sind drei Schmarotzer. Einer von ihnen hat eine Axt. Ich kann die Schneide durch die Luft zischen hören. Meine Kehle brennt, bei jedem Schritt sinke ich tief im Schnee ein. Meine Beine zittern vor Anstrengung.
Wir kommen über einen Hügel und plötzlich ragt vor uns eine Felsgruppe auf. Große Felsbrocken lehnen sich aneinander wie Leute, die sich in der Kälte zusammendrängen. Die Felsen sind eisglatt und bilden eine Reihe miteinander verbundener Höhlen, dunkle Krater, in die der Schnee nicht eingedrungen ist. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu umgehen oder darüberzuklettern. Hier sitzen wir in der Falle.
Raven erstarrt nur Sekundenbruchteile und ich kann das Entsetzen in ihrem ganzen Körper wahrnehmen. Ein Schmarotzer stürzt sich auf sie und ich schreie. Sie löst sich aus ihrer Starre, zerrt wieder an Sarah und rennt direkt auf den Felsen zu, weil man nirgendwo sonst hinrennen kann. Ich sehe,
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