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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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ein nervöses Summen, das uns alle durchläuft und den Wald unheilvoll erscheinen lässt. Die Abenddämmerung hat etwas Bösartiges an sich; die Schatten sind lange spitze Finger, ein Wald aus dunklen Händen. Morgen werden wir das dritte Lager erreichen, falls es existiert. Falls nicht, werden einige von uns verhungern.
    Und dann müssten wir uns auch nicht länger fragen, was aus Tack und Hunter geworden ist. Dann sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach tot.
    Der Morgen dämmert schwach und ist voller seltsamer Elektrizität, wie die Ruhe vor dem Sturm. Abgesehen vom Knirschen unserer Schuhe im Schnee bewegen wir uns lautlos.
    Schließlich sind wir da: an der Stelle, wo das Lager sein sollte. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Tack und Hunter hier gewesen sind – keine Rillen in den Bäumen, keine um Zweige gebundenen Stofffetzen, keins unserer Zeichen und keinen Hinweis, dass hier irgendwelche Lebensmittel oder Vorräte vergraben sind. Das haben wir alle befürchtet, aber trotzdem ist die Enttäuschung geradezu körperlich spürbar.
    Raven stößt einen kurzen Schmerzensschrei aus, als hätte man sie geschlagen. Sarah bricht im Schnee zusammen und ruft: »Nein-nein-nein-nein-nein!«, bis Lu sie anfährt, sie solle den Mund halten. Ich fühle mich, als wäre meine Brust eingesunken.
    »Vielleicht haben wir uns vertan«, sage ich. Meine Stimme klingt zu laut auf der Lichtung. »Wir müssen an der falschen Stelle sein.«
    »Wir haben uns nicht vertan«, sagt Bram leise. »Hier ist es.«
    »Nein«, beharre ich. »Wir sind irgendwo falsch abgebogen. Oder Tack hat eine bessere Stelle für die Vorräte gefunden.«
    »Sei still, Lena«, sagt Raven. Sie reibt sich fest die Schläfen. Ihre Fingernägel sind von purpurfarbenen Ringen umgeben. »Ich muss nachdenken.«
    »Wir müssen Tack finden.« Ich weiß, dass das nicht hilfreich ist; ich weiß, dass ich halb hysterisch bin. Aber bei der Kälte und dem riesigen Hunger ist dies mein einziger klarer Gedanke. »Tack hat unser Essen. Wir müssen ihn finden. Wir müssen …«
    Ich breche ab, als Bram sagt: »Pssst.« Sarah rappelt sich wieder auf. Plötzlich sind wir angespannt, wachsam. Wir haben es alle gehört – das Knacken eines Zweigs im Wald, so laut wie das Knallen eines Gewehrs. Als ich die anderen ansehe – alle unbewegt und ängstlich lauschend –, muss ich an den Hirsch denken, dem wir vor zwei Tagen im Wald begegnet sind, wie er erstarrte und sich anspannte, bevor er davonsprang.
    Der Wald ist vollkommen still, Pinselstriche gerader, schwarzer, kahler Bäume, dazwischen weiße Flächen, umgekippte, morsche Baumstämme, die im Schnee begraben liegen.
    Dann sehe ich, wie einer der Stämme – aus der Entfernung nur eine graubraune Masse – zuckt.
    Und ich weiß, dass irgendetwas hier ganz fürchterlich falsch läuft. Ich öffne gerade den Mund, um das zu sagen, aber genau in diesem Augenblick explodiert alles. Von überall her tauchen Schmarotzer auf, schütteln ihre Umhänge und Felle ab – Bäume werden zu Menschen, mit Armen, Messern und Speeren – und wir sprengen auseinander, rennen schreiend in alle Richtungen davon.
    Das ist natürlich genau das, worauf sie es abgesehen haben: dass wir in Panik geraten, uns trennen und angreifbar machen.
    Denn so können sie uns leichter töten.

jetzt
    D
er Tunnel, den wir entlanggehen, führt abwärts. Einen Moment stelle ich mir vor, dass wir bis zum Mittelpunkt der Erde vordringen.
    Vor uns nehme ich Lichtschein und Bewegungen wahr: ein feuerrotes Glühen, das Geräusch von Schlägen und Stimmengewirr. Mein Nacken ist schweißnass und das Schwindelgefühl stärker denn je. Es fällt mir schwer, mich auf den Beinen zu halten. Ich stolpere und komme kaum aus eigener Kraft wieder hoch. Der Rattenmann packt mich am Arm. Ich versuche mich aus seinem Griff zu lösen, aber er hält mit einer Hand meinen Ellbogen fest umklammert und geht jetzt neben mir. Er stinkt grauenhaft.
    Das Licht breitet sich aus und der Gang öffnet sich zu einem höhlenartigen Raum voller Feuer und Menschen. Die Decke wölbt sich über uns und links und rechts von uns erkenne ich hohe Bahnsteige. Darauf bewegen sich weitere Monster – heruntergekommene, abgerissene, schmutzige Leute, alle blutleer und blass, blinzelnd und hinkend – um metallene Mülltonnen, in denen Feuer brennen, so dass die Luft von Rauch und einem verbrauchten, öligen Geruch geschwängert ist. Die Wände sind gekachelt und von ausgeblichenen Werbetafeln und

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