Pandoras Kuss
Süße. Immer schön lächeln … sonst siehst du morgen früh in den Zeitungen aus , wie verkatert …“, flüsterte Amelie und winkte einem ganz besonders ungenierten Mädchen in einem Micky Mouse T-Shirt sogar noch zu, während die uns verbissen mit ihrem Mobiltelefon ablichtete.
Was?
Zeitungen?
Wie jetzt ?
Ich starrte Amelie verständnislos an.
„Reich zu sein ist fantastisch“, flüsterte sie. “Richtig reich zu sein ist sogar noch cooler. Lass dir also nie einreden, dass Geld nicht glücklich macht. Das ist eine Lüge, die Millionäre, wie ich, in die Welt gesetzt haben, um uns bei den armen Leuten einzuschleimen. Aber irgendwann haben sich die Armen mit der Erfindung der Klatschspalten an uns für unsere Lügen gerächt. Seitdem müssen wir Reichen uns ständig vor den Paparazzis verstecken. Aber heutzutage braucht’s eigentlich nicht mal mehr die. Denn, wie du siehst, reicht schon eine Horde Touristen mit Mobiltelefonen aus, damit du in ein paar Stunden dein Bild in den Klatschspalten bewundern darfst.“
Amelie winkte den Leuten ein weiteres Mal lächelnd zu und legte dazu dann auch ihren Kopf auf meine Schulter.
Ich wusste, was meine beste Freundin Constance in dieser Situation gesagt hätte: Wenn schon, denn schon, Kleine.
Meine Schwester hingegen hätte mich pikiert angesehen und dann mit Oberlehrerinnenmine doziert: Wie frau sich bettet, so liegt sie auch.
Na klar.
Allerdings war ich mir auch sicher, dass beide in einem Punkt übereingestimmt hätten, nämlich dem, dass es auf ein paar Champagner mehr oder weniger jetzt auch nicht mehr ankam.
Amelie sah das ähnlich und orderte die nächste Runde.
Irgendwo in einer der verborgenen Kammern meines Bewusstseins brach Schwester Marie-Claire von einem Herzinfarkt niedergestreckt zusammen. (Allerdings hatte sie eine erstaunliche Fähigkeit zur Regeneration. Daher stand zu befürchten, sie bliebe nicht lange in diesem Zustand.)
Ich weiß nicht mehr wann unsere Tour an diesem Abend endete. Ich weiß nur noch, dass ich vom Cafe Royale aus mit heftiger Schampusschlagseite zuerst in ein Taxi und dann in meine Wohnung gelangte.
54.
Mein Telefon klingelte.
Es klingelte ziemlich lange.
Es lag eine sehr spezielle Beharrlichkeit in diesem Klingeln, die mich Furchtbares ahnen ließ.
Es war Samstagmorgen exakt drei nach acht. Und mein Kater räkelte sich mit pochenden Kopfschmerzen, Magendruck und ausgedörrter Kehle.
„KIND! ENDLICH! WESHALB DAUERT DAS SO LANGE, BIS DU RANGEHST?!“ rief meine Mutter in den Hörer.
Ich war mir nicht sicher , ob ich fähig war zu antworten. Was aber zunächst auch gar nicht nötig war, weil meine Mutter das Reden voll und ganz für uns beide übernahm.
„Ich habe es von Suzanne Marais gehört, die hat es wiederum von ihrer Tochter, die es von ihrer Freundin hat, du weißt schon, die die bei der Bank arbeitet und immer mit Laufmaschen herumläuft , weil sie diesen japanischen Wagen fährt, an dem man sich so leicht die Strümpfe zerreißt. Ich hab es ja zuerst gar nicht glauben wollen. Dann hat dein Vater darauf bestanden, dass ich selber nachsehe. Was ja kein schlechter Rat war, das muss man ihm lassen, oder? Ich hab dann jedenfalls selber nachgesehen“, plapperte sie.
Nur damit da erst gar keine Missverständnisse aufkommen - ich liebe meine Mutter. Sie hatte wegen der ständigen Versetzungen meines Vaters in zehn verschiedenen Städten in acht verschiedenen Jobs gearbeitet, bevor er genug verdiente , um uns alle mit seinem Gehalt durchzufüttern. Sie war klug und mutig und sie hatte fast eine halbe Fußballmannschaft an Kindern großgezogen, aber trotzdem nie vergessen in der Kirchgemeinde auch für die Armen zu spenden. Außerdem hatte sie bei meiner Schwester und mir darauf bestanden, dass wir beide eine gute Ausbildung erhalten und uns einen richtigen Job zulegten, bevor wir auch nur daran denken durften, uns nach Ehemännern umzusehen. (Oder auch nur das Wort Sex an ihrem Tisch laut aussprechen durften.) Was ein radikal revolutionärer Schritt war für eine Frau mit ihrem Steinzeitkatholischen Hintergrund.
Ich wusste, dass sie von ein paar ihrer Freundinnen dafür immer noch schräg angesehen wurde. Die waren der Überzeugung, dass selbst im 21. Jahrhundert der einzig angemessene Platz für eine Frau sich irgendwo zwischen Herd, Waschmaschine und Kinderzimmer befand. Das hieß natürlich nur für die Zeit, die sie nicht gerade im Krankenhaus damit verbrachte, neue kleine
Weitere Kostenlose Bücher