Scheißerchen in die Welt zu werfen.
Das Einzige, was ich an meiner Mutter noch nie ausstehen konnte, war ihre verflixte Schwatzhaftigkeit.
„Marie?! MARIE? Bist du noch dran?“
Ich brummte irgendetwas. Mehr an Artikulation ließ mein Kater nicht zu.
„Du bist auf dieser W EBSEITE. Mit BILD. Und einem VIDEO. Du trägst ein UNMÖGLICHES Kleid! WER ist diese Amelie Irgendwas, mit der du in dieser Bar hockst? Wieso treibst du dich eigentlich mit Leuten herum, die BERÜHMT sind? Und außerdem … du weißt schon … angeblich keine Männer mögen ... MUSS ICH MIR ETWA ERNSTHAFT SORGEN UM DICH MACHEN, KIND?!“
Was?
Ich verstand kein Wort.
Oder doch…
Ich setzte mich in meinem Bett kerzengerade auf und hätte vor Schreck beinah das Telefon fallen lassen.
Allmählich dämmerte die Erinnerung an letzte Nacht durch das Trommeln des Katers in meinem Kopf hindurch. Die Touristen mit ihren Mobiltelefonen und Amelies Vortrag über Klatschspalten und Webseiten. Außerdem – Oh Gott! – Madame Mazaras von der Schnüffelbrigade. Dazu all die Kartons, Tüten und Päckchen.
„…Dein Vater ist ja auch der Meinung, dass so etwas nicht angehen kann, einfach wildfremde Leute zu fotografieren und dann die Bilder ins Internet zu stellen. Aber er sagt, dass es keinen Zweck hätte zu klagen, das koste nur Geld und bringe am Ende doch nichts ein. Aber HAST DU GELESEN, WAS IN DEM ARTIKEL DAZU STEHT? KIND, HAST DU MIR ETWAS ZU SAGEN? Ich bin deine MUTTER, mit mir kannst du doch über ALLES sprechen ….“
Ich lief mit dem Telefon am Ohr ins Wohnzimmer und warf meinen Computer an.
„Ja, Mutter…“
„ Nein, Mutter … „
„I ch hab noch geschlafen …“
„GESCHLAFEN?! Es ist ACHT UHR! Willst du etwa ZU SPÄT ZUR MESSE kommen, oder was?“, rief sie entrüstet ins Telefon.
Ich hatte einfach nicht das Herz ihr ehrlich zu sagen, wann ich das letzte Mal freiwillig zur Messe gegangen war.
Mein Computer fuhr hoch und mein Mailprogramm zeigte mir an, dass ich sechs neue Nachrichten hatte.
Ich öffnete sie während meine Mutter weiterhin ohne Punkt und Komma in ihr Telefon plapperte.
Ich öffnete die erste Mail.
Von :
[email protected] An :
[email protected] Gesendet : 6 Uhr 43
Betreff : schnuckelig
Mademoiselle Colbert,
muss ich dir noch sagen, dass du wirklich zum reinbeißen aussiehst?
Amelie
Ich öffnete die nächste Mail.
Von :
[email protected] An :
[email protected] Gesendet : 6 Uhr 38
Betreff : Champagner
Bist du geschockt? Das vergeht. Ich war mit drei Jahren zum ersten Mal Covergirl bei „Paris-Match“. Da hatte meine Mutter meinen Vater gerade mal wieder für ihren amerikanischen Banker verlassen. Glaub mir einfach: Du gewöhnst dich daran.
Bisou
Amelie
Unter der Mail war ein Bild angehangen.
Es zeigte einen etwa vierzigjährigen Mann, der an einem Strand mit einem kleinen Mädchen an der Hand spazieren ging. Der Mann hielt den Kopf gesenkt, daher war nicht viel von seinem Gesicht zu sehen, aber das Mädchen war eine jüngere Ausgabe von Amelie. Der Mann musste wohl ihr Vater sein.
Die Schlagzeilen dazu: „Millionenerbin Amelie Mendes-Gary vermisst ihre Rabenmutter! Lesen Sie alles über das Familiendrama in Frankreichs berühmtester Pressedynastie! Weshalb hat die wilde Angelique mit ihrem Mann Schluss gemacht? Pikant: Hat Olivier Mendes-Gary seine Frau etwa mit dem Kindermädchen betrogen?“
Oh Scheiße.
Ich öffnete die nächste Mail.
Von :
[email protected] An :
[email protected] Gesendet : 6 Uhr 34
Betreff : Partygirl
Salut Marie,
Schläfst du etwa noch? Na da verpasst du aber was. Wir sind online, Süße.
Bisou
Amelie
Darunter war ein Link zur Webseite eines Magazins namens „Metro“. Es gab sich hipp und jung und war ziemlich teuer.
Ich folgte dem Link.
Herrgott! Da war ich.
Sie hatten nicht nur das Bild von mir online gestellt, sondern da war wirklich auch ein Video. Ich klickte es an.
A usgelassen lachend prostete ich Amelie mit einem Champagnerglas zu, trank dann und KÜSSTE sie anschließend.
Ich küsste sie nicht einfach nur so.
Das war ein ZUNGENKUSS und wir rieben dazu sogar unsere Oberkörper aneinander.
Oh Heilige Maria Magdalena!
In aller Öffentlichkeit!
Kein Wunder, dass meine Mutter derart aus dem Häuschen war.
Meine Mutter?
Das Telefon!
Verflixt, ich hatte es einfach abgelegt, während ich die Mails