sobald die Schnüffelbrigade verkündete, dass ich korrupt war und Vater wegen mir den Posten als Präfekt verlor.
„Grandios, Schwester“, meinte ich , „noch mal – danke.“
„Ja, okay, kein Grund. Übrigens hat Michel angerufen. Er hat diesen Arnaud auf die Liste von Terrorverdächtigen gesetzt. Sobald der das nächste Mal einen Flughafen betritt, wird er sein blaues Wunder erleben.“
Mein Bruder Michel war Chef der Antiterrorabteilung im Innenministerium. Solche Listen zu erstellen war sein tägliches Brot.
„Es lebe die Pressefreiheit, was?“
„Sie lebe hoch! Hoch! Hoch!“, antwortete meine Schwester und ich war sicher, dass sie dazu grinste wie ein Honigkuchenpferd.
„Bis dann!“
„Bis dann!“
Ich legte auf.
Dabei fiel mein Blick zufällig auf das Symbol meines Maileingangs am unteren Rand des Bildschirms.
Ich hatte 29 neue Mails. Vor einer Viertelstunde waren das doch bloß sechs gewesen?
29? An einem Samstagmorgen um halb neun?
Ich öffnete meinen Maileingang.
27 der 29 Mails stammten von Zeitungen, Z eitschriften, Magazinen oder TV–Sendern, die anfragten, ob sie ein Interview mit mir haben dürften.
Die meisten boten mir mehr oder weniger offen Geld dafür an.
Eines der Magazine wurde sogar konkret: 5.000 Euro für ein Interview, das Vierfache, falls ich bereit war, dabei über Sex zu sprechen und glatte 100.000 falls ich Fotos oder Videos von mir und Amelie im Bett anzubieten hätte.
Es war A natole Arnauds Magazin „Metro“.
55 .
Mein Leben lang war mir von Eltern, Familie, Nonnen, Priestern und Lehrern eingetrichtert worden, das s Gerechtigkeit ein Ziel sei, das man gar nicht hoch genug halten konnte. Und sollte die Gerechtigkeit in unserem irdischen Jammertal einmal ausbleiben, so war mir außerdem eingeschärft worden, dass es in diesem Fall trotzdem immer noch besser sei, die andere Wange hinzuhalten und zugleich auf Gott zu vertrauen.
Aber Gottes Weisheit ließ , meiner Erfahrung nach, schon seit einiger Zeit deutlich zu wünschen übrig.
Außerdem konnte man (und frau erst recht) gar nicht übersehen, dass in dieser unserer Welt diejenigen, die ständig die andere Wange hinhielten, stets als erste mit einer blutigen Nase im Dreck landeten.
Seit ich das begriffen hatte nahmen die Schuldgefühle, die ich dabei empfand, in einer speziellen Kammer meines Bewusstseins eine persönliche Verschissliste zu führen, deutlich ab.
Möglich, dass meine Verschissliste ein bisschen überschaubarer ausfiel, als die anderer Leute. Ich war stolz darauf und wertete es als Beweis meiner guten Erziehung und meines grundsätzlich zu Ausgleich und Harmonie neigenden Naturells.
Als sich meine persönliche Verschissliste gerade um den Namen Anatole Arnaud erweiterte, spürte ich nicht einmal mehr den Hauch eines Schuldgefühls dabei. Ich empfand so gar keine Reue dabei, ihm alles Böse, sämtliche Gemeinheiten und jedes nur erdenkliche persönliche Elend der Welt an seinen pickligen Hals zu wünschen.
Wie gesagt, ich hatte ein Naturell das grundsätzlich zu Ausgleich und Harmonie neigte.
Nachdem ich meine persönliche Verschissliste um Anatole Arnauds Namen bereicherte, wurde ich plötzlich auch sehr viel ruhiger.
Ich ging in die Küche brühte mir eine Kanne Kaffee und kehrte mit ihr zur Couch zurück. Ich trank kurz nach einander zwei Tassen davon. Das Koffein kurbelte meinen Blutdruck an und brachte mein Hirn auf Touren.
Ich bildete mir ein, dass es half den Kater in Schach zu halten, der nach wie vor direkt hinter meiner Stirn seine Trommelkonzerte aufführte.
Von :
[email protected] An :
[email protected] Gesendet : 9 Uhr 41
Betreff : Lebenszeichen??
Mein Mailprogramm zeigt deine Adresse grün unterlegt. Das heißt, dass du online bist!!! Was heißt, dass du wach bist!!! Ich nehme an, du bist geschockt? Das ist völlig normal. Du darfst jetzt nur keine überstürzten Dummheiten machen, okay?
Bisou
Amelie
Wie zuvorkommend von ihr , erst mein Leben völlig durcheinander zu bringen aber mir dann auch noch irgendwelche Dummheiten zuzutrauen.
Von :
[email protected] An :
[email protected] Gesendet : 9 Uhr 47
Betreff : Re/ Lebenszeichen??
Dummheiten? Mal sehen. Ich habe 30 Anfragen für Interviews. Und unser Freund Arnaud bietet mir 100.000 für ein Sexvideo von dir und mir. Falls du gerade eines parat hast, ich könnte das Geld gut gebrauchen, weil ich nach diesem Artikel