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Pandoras Kuss

Pandoras Kuss

Titel: Pandoras Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilia Polo
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war die Wirkung, die ich auf die Gäste im Belle Epoque ausübte,  nicht mit der zu vergleichen, die ich normalerweise auf meine Mitmenschen hatte. Weshalb hatte vorhin den Restaurantgästen plötzlich derart offensichtlich der Sexzahn getropft? 
    Ich beschloss ein Experiment zu machen und lief dazu aus dem winzigen Bad ins Wohnzimmer hinüber. Richtig: Die Dunkelheit draußen sorgte dafür, dass ich mich gut in der gläsernen Balkontür spiegelte.
    Einen Augenblick blieb ich ruhig im Raum stehen.
    Dann ging ich möglichst ungezwungen einige Schritte auf die Balkontür zu.
    Das Spiegelbild in der Balkontür zeigte eindeutig mich: Marie Colbert, den guten Kumpel mit dem breiten Hintern, den etwas zu kurzen Beinen und der zu vollen Oberweite.
    Dann  drehte ich mich um, schloss die Augen und ließ zu, dass all die Wut und Angst, die Persephones perverses Spiel in mir auslösten, in mir heraufstiegen und sich irgendwo kurz unter meiner Schädeldecke in einem bläulich kalten Kraftfeld sammelten.
    Ich atmete einige Male tief ein und aus, öffnete meine Augen und schritt dann möglichst cool und stolz durch mein Wohnzimmer.
    Was ich dabei in der Balkontür sah, war nicht mehr eine grau schimmernde Kanonenkugel mit Armen, sondern eine Frau, die den Eindruck machte, als sei sie nicht nur fähig, sondern auch bereit , jeden Kerl, der ihr zu nahe kam, heftig in den Hintern  zu treten.
    Ich wiederholte die Übung.
    Dasselbe Ergebnis.
    Ich sah das Foto der Punkerin vor mir, wie sie mit dem mysteriösen Lächeln ihre Hand in dieser typisch männlichen Geste über ihre Vulva geschoben hatte.
    Verdammt.
    Die innere Göttin – sie existierte wirklich.
    Im ersten Moment erschrak ich davor und fragte mich, ob das jetzt ein Fall von den Zaubern war, die ich zwar gerufen hatte, aber dann nicht wieder loswurde. Dann beschlich mich das durchaus beklemmende Gefühl, während meiner Teenagerjahre auf dem Mädcheninternat doch mehr verpasst zu haben, als bloß ein bisschen heimliche Fummelei auf den Rücksitzen geborgter Familienkombis.
    Meine ganz persönliche Version von Schwester Marie-Claire war jedenfalls irgendwo in mir gerade einfach in Ohnmacht gefallen. So etwas hielt bei ihr zwar nie lange an. Aber es kam auch nicht gerade häufig vor, dass irgendetwas, was ich tat oder dachte, sie derart prompt ausknockte. 
    Fest stand, da war etwas Neues in mir erwacht und wo es jetzt schon mal da war, lernte ich besser auch mich damit zu arrangieren.
    Eine Göttin war die Fremde in mir trotzdem nicht. Dazu war sie mir zu ähnlich. Und überhaupt - was war schon eine Göttin? Die waren doch wohl außer bei Persephone schon seit der Antike schwer aus der Mode gekommen. 
    Doch wie wär’s mit Hexe?
    Hexen waren gefürchtet und beherrschten geheimnisvolle Magie. Und zwar sowohl gute wie böse.
    Und sie hatte vorhin im Belle Epoque so verdammt überzeugend gewirkt, diese kleine schamlose Hexe. Die Restaurantgäste hielten sie für mein wahres, eigentliches Ich. Sie hatten instinktiv respektiert , was sie da sahen. Einige von ihnen hatten sich wahrscheinlich sogar davor gefürchtet . 
    Wow.
    Bisher hatte ich entweder meine Marke oder die Dienstwaffe zücken müssen, um wirklich gefürchtet zu werden.  Zumal das, was Dienstmarke und Waffe auslösten,  ja auch eine völlig andere Form von Furcht darstellte.
    Da lag das Täschchen.
    Was hatte Coco Chanel noch gleich gesagt?
    „ Die Welt wollte beeindruckt werden. Und zwar genauso sehr von dem, was eine Frau trug, als auch davon, wie sie es trug“.
    Nichts wirklich Neues, schon klar.
     
    Trotzdem lag zwischen Wissen und Begreifen ein Unterschied.
    Persephone hatte mich in diesen Fummel gezwungen, den ich sonst niemals auch nur mit einer Kneifzange angefasst hätte.  Sie hatte ein Bild von mir erschaffen. Und die Gäste im Belle Epoque – Männer wie Frauen – hatten es anschließend mit ihren persönlichen Fantasien und Ängsten aufgeladen, wie eine Batterie.
    Ein Bild war nur ein Bild – ein Traum, eine Lüge. Doch heute Abend war dieses Bild so lebendig gewesen, dass es mein eigentliches schamhaftes Ich verdrängte.
    Das war schon verrückt.  
    Es war mehr als bloß verrückt.
    Es war gespenstisch.
    Ich sah zu meinem Spiegelbild in der Balkontür.
    Sollte ich mich jetzt etwa vor mir selbst fürchten?
    Ich hob den Kopf, ich straffte mich und stellte mein rechtes Bein ein wenig aus und sah mein Spiegelbild in der Balkontür erneut lange an.
    Hexen mochten ja einen miesen Ruf genießen.

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