Pandoras Kuss
diesem Verhalten ein Bild zu machen.
Dieser Fremde war der Boss.
Nur – wo war dann Monsieur Mesrine?
Ich erkundigte mich bei Mohammad danach.
„Oh Monsieur Mesrine ist nach Hause gefahren, Mademoiselle. Eine dringende Familienangelegenheit, wissen Sie.“
So, dachte ich, eine dringende Familienangelegenheit.
S eltsam.
Ausgerechnet jetzt auf dem Höhepunkt der Frühjahrssaison sollte Mesrine seinen Imbiss diesem Fremden überlassen haben? Zur einzigen Zeit im Jahr, in der sich die Touristen ab und zu sogar bis hierher in die Rue du Plessy verirrten und den Umsatz ankurbelten?
Was immer wirklich dahinter steckte – mir war klar, dass keiner der drei Männer hier mir die Wahrheit sagen würde, sollte ich weiterhin auf einer Erklärung bestehen.
„Gut, Monsieur. Dann stellen Sie sicher, dass Ihr Chef sich an die Gesetze hält.“
„Bestimmt, Mademoiselle. Entschuldigung. Kommt nicht wieder vor. Versprochen“, versicherte mir Mohammad.
Ich wandte mich ab und ging zu meinem Wagen zurück.
Ich war nie dazu gekommen Mesrine eine Frage zu stellen, die mir schon seit einiger Zeit auf den Nägeln brannte. Genauer gesagt seit Persephone in mein Leben trat. (Wenn frau das denn so nennen kann.)
Irgendwoher musste sie von meiner Vereinbarung mit ihm erfahren haben. Es war zwar nicht unmöglich, dass sie es von einem meiner Kollegen hörte, aber das fand ich unwahrscheinlich. Weit plausibler erschien mir, dass die Information von Mesrines Seite gekommen war.
Und nun – war Mesrine verschwunden.
19.
Am Montagmorgen war ich noch genauso entschlossen mich der Beulenpest auszuliefern. Mesrine zu informieren wäre nur fair gewesen. Aber genauso fair war es Capitaine Hublot, meinen Vorgesetzten, zu informieren bevor er durch einen Anruf vom Präsidium von meiner Selbstanzeige erfuhr.
Hublot war Mitte fünfzig, umgänglich und kein schlechter Polizist. Er würde mich sehr heftig zusammenstauchen, mich dann mit Vorwürfen überschütten, aber am Ende mir vielleicht dabei helfen zu retten, was von meiner Karriere noch zu retten war.
Er wirkte absolut nicht überrascht , als ich ihn um ein Gespräch in seinem Büro bat. Hublot bot mir Platz an, grinste dann bis über beide Ohren und teilte mir mit, er hätte gerade vor zehn Minuten erfahren, dass meine Beförderung bestätigt sei.
Er reichte mir die Hand.
„Glückwunsch, Lieutenant Colbert!“
Ich war zu geschockt von der Neuigkeit und brauchte einen Moment bevor ich fähig war seine Hand zu schütteln.
„Behalt es aber noch eine Weile für dich, Marie.“
Und ob.
Die Frage war nur, ob ich etwas ganz anderes besser auch für mich behielt oder den Mut aufbrachte ihm diesen schönen Morgen doch noch gründlich zu verderben.
„Natürlich muss Rava noch zustimmen, aber bei deinen Beurteilungen ist das bloß eine Formalität .“
Alexandre Rava war Polizeichef der Stadt und erst vor ein paar Monaten hierher versetzt worden. Hublot und Rava kannten sich schon länger. Sie hatten früher mal im selben Revier gedient. Rava hatte sich in Marseille den Ruf eines harten Hechts erworben. Und Marseille war kein Ort, an dem einem solch ein Ruf grundlos einfach so zugeflogen wäre.
„Er wird dich übrigens in den nächsten Tagen kennen lernen wollen.“
Das war eine Macke von Rava. Während sein Vorgänger seine Beamten höchstens vom Capitaine und Commissaire aufwärts kannte, bestand Rava darauf , so viele von uns wie irgend möglich persönlich kennen zu lernen.
„Mach dir keine Sorgen. Er weiß, dass ich ihm keinen faulen Apfel unterjubeln würde.“
So viel dazu, dachte ich und ließ den passenden Augenblick dafür meine Bombe platzen zu lassen ungenutzt vorübergehen. Ich brachte es einfach nicht übers Herz alles wegzuwerfen. Nicht ausgerechnet jetzt, nachdem meine Beförderung schon so gut wie durch war.
Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch machte ich einen Umweg über die Toiletten.
In einer der Kabinen setzte ich mich auf den Klodeckel, legte den Kopf zurück, schloss die Augen und wartete ab bis mein Adrenalinlevel soweit herab gesunken war, dass meine Hände zu zittern aufhörten.
Es war so unfair gerade heute mit dieser Beförderung konfrontiert zu werden.
Ich dachte an meinen Vater, meine Brüder und Schwester – wie stolz sie auf die Leutnantsstreifen sein mussten. Aber eigentlich war das nur eine Ausrede. Denn worum es wirklich ging war, wie stolz ich auf die Streifen sein würde.
Sollte ich also Persephones Spiel doch weiter
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