Pandoras Kuss
glücklich machten. Vielleicht taten sie es wirklich nicht, dachte ich und beschloss den Besuch bei der Beulenpest zu canceln.
Wenigstens vorerst .
Denn wer, außer ihr selbst, wusste schon, was Persephone noch für mich geplant hatte?
Na klar: Es waren ja nicht die Gewissheiten, die uns wirklich glücklich machten.
20 .
Ich hatte einen Kloß im Hals und spürte ein stumpfes Ziehen im Bauch, als ich an meinen Schreibtisch trat. Aber ich hatte auch begriffen, dass irgendetwas extrem schief gelaufen sein musste, wenn eine attraktive junge Frau wie Nadine gezwungen war, sich an irgendeinem Morgen in der Damentoilette des Reviers zu verbarrikadieren um sich dort allein und frustriert eine Zwei -Finger-Massage zu verpassen, obwohl die Typen eigentlich hätten Schlange stehen müssen, um sich die Ehre mit ihr und ihrem Allerheiligsten zu geben.
Es waren ja vielleicht wirklich nicht die Gewissheiten, die uns glücklich machten. Aber manche Gewissheit half frau trotzdem durchs Leben. Und eine davon lautete: frau endete besser nicht so wie die arme Nadine.
Pünktlich genau dann, als ich ihn so gar nicht brauchte, erhob sich der zornige Moralzeigefinger von Schwester Marie-Claire in mir. Schamlose, sexbesessene Hexen mochten ja mehr Spaß haben als die anderen, verkündete er, aber sie endeten auch zuerst in der Vorhölle der Gerüchteküche und bekamen anschließend garantiert einen der vorderen Plätze im Fegefeuer. Also Marie Colbert, besser du denkst mal drüber nach, wann du das letzte Mal gebeichtet hast.
Oha.
Bevor es irgendeiner bemerkte, ging ich auf den Parkplatz hinaus, suchte die Notschachtel Zigaretten aus dem Handschuhfach hervor und steckte mir mit zitternden Händen eine davon an.
Noch eine Sünde mehr, an der sich Schwester Marie-Claires Zeigefinger abarbeiten durfte.
Merde.
Ich war mir selbst unheimlich geworden.
Die Selbstanzeige bei der Beulenpest war trotzdem aus dem Rennen. Weiterhin im Rennen waren aber die dunkle Fee, Schwester Marie-Claires erhobener Zeigefinger und diese ruchlose kleine Hexe in mir. Außerdem weiterhin im Rennen war meine Furcht davor, was Persephone als nächstes für mich bereithielt.
Ich trat die halb gerauchte Zigarette aus.
Na toll, dachte ich, jetzt waren da zwei innere Stimmen, mit denen ich mich in Zukunft herumzuschlagen hatte. Als ob Schwester Marie-Claire mit ihrem Moralzeigefinger und den Gardinenpredigten nicht schon vollauf ausgereicht hätte.
Woher nur kam das leise Lächeln, das sich über meine Lippen schlich , während ich zurück zu meinem Schreibtisch ging?
IV. Teil
Ich trat durch die halb geöffnete Tür in die weitläufige Wohnung. Sie befand sich in einem der alten großen Mietshäuser am Rande des 18. Reviers.
Ein großer Teil dieser Straße war jahrelang sich selbst überlassen worden. Die Mietshäuser, einst geräumig und hell, drohten zu Ruinen zu verfallen. Viele hatten bereits keine Fenster und Türen mehr und waren zum Unterschlupf von Drogenabhängigen und Obdachlosen verkommen.
Nicht ganz der Ort, an dem ich die dunkle Fee zu sehen erwartete. Dennoch hatte sie mich für heute Abend hierher bestellt.
Ich trug meine Dienstkluft aus schwarzen Jeans, Bandshirt und einem leichten Blouson.
Ich war nervös als ich vorsichtig und leise durch die Tür in die Wohnung eintrat.
Alles andere an diesem Haus – in dieser Straße – mochte dem Verfall preisgegeben sein, diese Wohnung jedoch nicht.
Türen und Holzfußboden waren sauber abgeschliffen. Die Wände trugen zwar keine Tapeten, waren aber erst kürzlich hell getüncht worden. Es roch nach dem Verfall der Straße und ein wenig nach heißem Kerzenwachs.
Ein muskulöser Schwarzer nahm mich in Empfang. Er trug eine Halbmaske und einen grauen gut sitzenden Anzug. Er sagte kein Wort, sondern ging mir wortlos voran den Flur hinab.
Die Zimmer, deren Türen zum Flur hin offen standen, waren abgesehen von den blauen Vorh ängen an den Fenstern leer. Aber die Türen zu drei der Räume waren verschlossen, so dass ich nur raten konnte was sich dahinter befand.
In dem Zimmer, in dem mich der Schwarze schließlich zurückließ, befanden sich nur ein einfacher Tisch und zwei identische Stühle. Auf dem Tisch standen eine Karaffe mit Mineralwasser und zwei geschliffene Gläser. Das Wasser war kalt – es konnte noch nicht lange hier stehen, so warm wie es hier an diesem sonnigen Frühlingsabend war.
Draußen auf dem Flur - weitere
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