Pandoras Kuss
Kaffee – auf dem Beifahrersitz des Wagens lag eine silbern schimmernde Thermoskanne.
Sie musterte mich einen Moment.
Wenn ich schon auf die Straße ging, dann wollte ich unerkannt bleiben. Und zwar selbst für meine spießigen Nachbarn, die ihr ganzes Leben lang noch nie einen Fuß ins Opernhaus gesetzt, geschweige denn je einen Vibrator benutzt hatten. Also trug ich einen langen blauen Trenchcoat (bis oben hin geschlossen), hatte ein Tuch um meinen Kopf geschlungen und außerdem meine große Plastiksonnenbrille aufgesetzt. In dem Aufzug wäre ich locker als eine der Muslimas durchgegangen, die am Samstagnachmittag in der Rue du Plessy ihre Wocheneinkäufe erledigten.
Die dunkle Fee belächelte mein Outfit.
„Sie sehen aus wie eine Komparsin in einem Agentenfilm. Und zwar, wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf, keinem besonders guten.“
Die Straße vorm Haus war voller Leute, die entweder ihre Kinderwagen spazieren fuhren, vom Einkauf kamen, oder sich mit Sack und Pack bereitmachten zu ihren Wochenendhäusern zu fahren. Vielleicht war meine Verkleidung ja wirklich keine so besonders tolle Idee gewesen.
Persephone trank ihren Kaffee aus, warf den Becher auf den schmalen Rücksitz, und sprang plötzlich in einem einzigen sehr gekonnten Zug über die geschlossene Tür des Cabrios in den Fahrersitz.
Sie öffnete die Beifahrertür und sah lächelnd zu mir herauf.
„Ich hab diese Nummer ziemlich lange geübt. Sie müss en ja nicht gleich applaudieren aber irgendeine Form von Anerkennung wäre schon ganz nett …“, meinte sie.
Die dunkle Fee exaltiert - wie hatte ich das denn zu verstehen?
Einige Passanten und Nachbarn sahen neugierig zu uns herüber. Und nicht alle davon schienen sich nur für Persephones Luxusschleuder zu interessieren. Also ging ich um den Wagen herum und rutschte in den Beifahrersitz.
„Sehr schön“, sagte Persephone
„Nur unter Protest!“ , stellte ich klar.
„Protest ist pfl ichtgemäß zur Kenntnis genommen“, erwiderte sie trocken.
Sie startete und lenkte das Cabrio dann gekonnt auf die Straße. Die dunkle Fee fuhr wie jemand, dem es Freude machte - schnell und sicher, vielleicht sogar etwas zu risikobereit. Eigentlich fuhr sie genauso, wie ich selbst auch den schnellen kleinen Sportwagen gefahren hätte.
Wie üblich hatte ich natürlich keine Ahnung wohin die Reise ging. Aber wenn ich schon mal in dieser Rakete saß, dann sollte ich die Fahrt besser auch genießen. Wer wusste schon, wann sich frau mal wieder eine solche Gelegenheit bot?
Irgendwann entspannte ich mich, streifte das Tuch herab, rutschte tiefer in den bequemen Sitz und ließ meine Mähne im Fahrtwind wehen.
Ein sonniger Samstagnachmittag im Mai.
Die Stra ßen waren voller fröhlicher Leute. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass uns an jeder Ampel, an der wir hielten, ein Hupkonzert irgendwelcher Männer begrüßte – es war nur jede zweite.
Persephone nahm ihren Beifall, ihr Hupen, ihre Rufe und Pfiffe mit der Gelassenheit einer Königin hin.
Ich brauchte eine Weile bis ich soweit war nicht mehr jedes Mal unwillkürlich zusammen zu fahren, sobald uns irgendwer hinterdrein pfiff. Doch je länger es dauerte, umso gelassener wurde ich.
„Ihr Problem, Pandora, besteht darin , dass Sie es einfach nicht gewohnt sind, sich auch mal etwas zu gönnen“, meinte Persephone irgendwann.
Na vielen Dank. Ich schoss ihr einen böse n kalten Blick zu.
Sie lachte mich aus.
„Streichen wir beide jetzt Treffen Nummer fünf von unserer Liste oder wie sonst darf ich unseren Ausflug hier werten …?“, fragte ich bissig und bemühte mich dabei bewusst um eine Wortwahl, die ihr ziemlich bekannt vorkommen sollte.
„Das hier hat mit der Vereinbarung nichts zu tun. Wir sind einfach nur zwei Freundinnen, die an einem Samstag ein bisschen Spaß haben werden …“
Wie bitte?!
FREUNDINNEN?
Das war ja wohl der Gipfel!
„Nun kommen Sie schon, Pandora. Entspannen Sie sich. Es ist so ein schöner Tag. Sie hatten doch sicher eine anstrengende Woche. Lassen Sie sich einfach mal ein bisschen gehen!“, lächelte die dunkle Fee. Dann schaltete sie die Stereoanlage ein und drehte die Lautstärke voll auf. Hämmernde Beats füllten das Innere des Cabrios.
Ein Song, den ich nicht kannte, doch der m ir schon nach den ersten Tönen gut gefiel.
Holy water cannot help you now /
See I've come to burn your kingdom down/
And no rivers and no lakes, can put the fire out /
I'm gonna raise the stakes;
Weitere Kostenlose Bücher