Pandoras Tochter
erzählt hat«, flüsterte sie. »Das will ich nicht, Phillip.«
»Ich weiß.« Er drückte kurz ihre Hand und ließ sie dann los. »Aber du hast immer den Tatsachen ins Auge geblickt, auch wenn es dir noch so schwerfiel. Und dies ist nichts anderes.« Lächelnd fügte er hinzu: »Na ja, vermutlich ist das untertrieben.«
»Vermutlich«, wiederholte sie ironisch. Sie wandte den Blick von ihm. »Es ist kein Quatsch, Phillip?«
»Ich kann dir deine Zweifel nicht übelnehmen. Niemand war ein größerer Zweifler als ich.« Und nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Ich verstehe nichts von alldem, aber es ist kein Quatsch. Das schwöre ich dir, Megan.«
»Ich will das nicht«, gab sie vehement zurück. »Ich bin lieber verrückt als ein Freak. Wie komme ich da nur wieder heraus?«
»Gar nicht. Du lernst, damit zu leben.« Er stand auf. »Das ist die einzige Möglichkeit zu überleben.«
»Das kannst du nicht wissen. Du bist kein Freak und hast deine Weisheiten wahrscheinlich nur von Grady.«
»Ich habe selbst Nachforschungen angestellt. Nora hat mir zu viel bedeutet, als dass ich sie einer Situation ausgesetzt hätte, ohne mich vorher schlauzumachen.«
Wieder hatte sie ihn gekränkt. Sie war aufgebracht und frustriert, aber das sollte sie nicht an Phillip auslassen. »Tut mir leid. Ich bin nur …« Sie nahm seine Hand und legte sie an ihre Wange. »Es geht nicht gegen dich. Ich wünschte nur, ich könnte morgen aufwachen und dies alles als Alptraum ansehen.«
»Ich weiß«, antwortete er zärtlich. »Das würde ich mir auch für dich wünschen, aber das kann ich dir nicht bieten. Ich bin immer für dich da – das ist das Einzige, womit ich dich trösten kann. Grady kann mit dir nicht tun, was er will – das lasse ich nicht zu.«
»Warum ist er hier? Ich bin ohne ihn gut zurechtgekommen. Ich will ihn nicht in meinem Leben haben.«
»Du bist gut zurechtgekommen, weil er auf dich eingewirkt hat – genau wie damals auf Nora.«
»Ich werde nicht von ihm abhängig sein. Gott, ich hab mich so hilflos gefühlt. Er konnte mich verletzen und verbiegen. Es war, als wäre ich ein Krüppel. Ich muss etwas dagegen unternehmen.«
»Dabei kann ich dir nicht helfen, Megan. Ich fürchte, in diesem Punkt bist du auf dich allein gestellt.« Er tätschelte ihre Wange und trat dann einen Schritt zurück. »Aber du hast dich nie davor gescheut, die Initiative zu ergreifen. Ich werde dir mit Freude dabei zusehen.«
Plötzlich fiel ihr wieder etwas ein, was sie in ihrer Verwirrung vollkommen vergessen hatte. »Grady hat gesagt, dass er meine Hilfe braucht. Wobei?«
»Das wirst du sicherlich früh genug herausfinden. Grady kann sehr geduldig sein, aber nicht unter diesen Umständen.«
Sie sah Phillip nach, als er zur Tür ging. Als er hereingekommen war, war sie am Boden zerstört gewesen und hatte sich gefühlt, als wäre sie mutterseelenallein auf dieser Welt. Dennoch hatte sie nicht lange gebraucht, um sich damit zurechtzufinden, dass Phillip einen neuen Platz in ihrem Leben einnahm. Er spielte eine seltsame, ungewöhnliche Rolle, aber er selbst hatte sich nicht verändert. Nach wie vor liebte sie ihn von ganzem Herzen. Solange er zu ihr stand, war sie nicht allein.
Er würde ihr helfen, gegen Grady zu bestehen.
Mit einem Mal wurde sie sich bewusst, was ihr da durch den Kopf ging. Sie verließ sich noch genauso auf Phillip wie in den letzten Jahren. Grady hatte ihn zu ihr geführt, und sie hatte sich an ihn geschmiegt wie ein Kind in der Dunkelheit.
Aber sie war kein Kind mehr. Sie war eine Erwachsene, die sich durch ihr Medizinstudium gekämpft hatte. Laut Grady hatte ihre Mutter sie angelogen, und vielleicht stimmte das auch. Megan wusste nicht mehr, was der Wahrheit entsprach und was nicht. Und Phillip hatte erklärt, dass sie von Grady ebenso abhängig war wie seine Frau – angeblich hatte er die Stimmen von ihr ferngehalten und dafür gesorgt, dass sie nicht dem Wahnsinn anheimfiel. Aber das würde sie erst mit Sicherheit wissen, wenn ihr weder Phillip noch Grady zur Seite standen.
Falls Grady sie jemals allein ließ. Sie erinnerte sich mit Grauen daran, wie er zugelassen hatte, dass die Stimmen auf sie einprasselten.
Zugelassen. Er hatte nicht dafür gesorgt, dass sie Megan angriffen. Wenn das, was er sagte, wahr war, dann konnte er die Stimmen nur im Zaum halten, jedoch nicht gegen sie aufhetzen. Die Einzige, die sie zum Schweigen bringen oder kontrollieren konnte, war Megan selbst. Wenn ihre Mutter dazu
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