Pandoras Tochter
nicht allein. Ich bin für dich da. Du liegst mir am Herzen. Wenn ich eine Tochter hätte, könnte ich sie nicht mehr lieben. Ich wünschte, du wärst meine Tochter.« Er machte eine Pause. »Ich weiß, wie verletzt du bist. Ich bin es auch.«
Er sagte die Wahrheit. Sie fühlte seinen Kummer, versuchte jedoch, ihn zu ignorieren.
Das war unmöglich. Es ging um Phillip. Sie konnte ihn nicht in seinem Elend schmoren lassen, doch genauso wenig konnte sie über das, was er getan hatte, hinwegsehen. »Es war falsch, Phillip. Du hättest das nicht tun dürfen.«
»Hätte ich mich Gradys Wünschen nicht gebeugt, hätte er jemand anderen damit beauftragt. Er hat mir die Chance gegeben auszusteigen. Er hat mich gebeten, auf die Beerdigung deiner Mutter zu gehen und dich kennenzulernen. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dir nicht helfen zu können, hätte ich wieder verschwinden können.« Er lächelte. »Er wusste, dass er mich am Haken haben würde, sobald ich dich sehe. Du hast am Grab gestanden, verwirrt und traurig, und versucht, tapfer zu sein. Die Frage war nicht, ob ich dir helfen will, sondern wie. Es stellte sich heraus, dass es ganz einfach war. Wir haben uns zusammengetan und sind eine Familie geworden. Ich überließ es Grady, die Dokumente zu fälschen und mich zu deinem rechtmäßigen Vormund zu machen.« Sein Lächeln verblasste. »Zieh dich nicht von mir zurück. Nimm mir nicht meine Familie, Megan.«
Tränen traten ihr in die Augen. »Woher soll ich wissen, dass du nicht nur das tust, was Grady von dir verlangt? Er scheint … ich weiß auch nicht, was er zu sein scheint. Er sagte … dass ich so was wie ein Freak bin.«
»Dieses Wort hat er sicher nicht verwendet. Da würde ein Esel einen anderen Langohr schimpfen.«
Sie zuckte zusammen. »Aber du widersprichst ihm nicht, oder? Um Himmels willen, Phillip – ich bin nicht … ich habe nie im Leben etwas Eigenartiges getan, das weißt du.«
»Nicht, seit ich dich kenne. Und es geht auch nicht um das, was du getan hast, sondern darum, was du bist. Du bist eine Lauscherin und nur deshalb zum Opfer geworden. Manchmal läuft das so.«
Sie starrte ihn fassungslos an. »Du glaubst dieses blöde Geschwätz?«
»Ich muss es glauben. Meine Frau Nora war auch eine Lauscherin.«
»Deine Frau?«
»Sie starb ein paar Jahre, bevor ich zu dir kam. Deshalb konnte Grady davon ausgehen, dass ich dir beistehe.« Er schüttelte den Kopf. »Allerdings hattest du es leicht im Vergleich zu Nora. Grady hat auf dich aufgepasst. Ich konnte meiner Frau nicht helfen. Ich wusste nicht einmal, dass es Menschen gibt, die ihr die Last erleichtern könnten.« Ein strahlendes Lächeln erhellte sein Gesicht. »Ich wünschte, du hättest meine Nora gekannt. Du bist ihr sehr ähnlich. Sie war immer beschäftigt und hat sich um alles gekümmert. Und sie war unendlich liebevoll. Sie war die sanftmütigste, süßeste Frau auf Gottes weitem Erdenreich. Wir waren zwölf Jahre verheiratet, bevor sie anfing, die Stimmen zu hören, und dann kam es nur selten vor. Wir konnten das ignorieren.« Sein Lächeln verschwand. »Dann kamen die Alpträume, und die Stimmen plagten sie ständig. Sie dachte, dass sie verrückt wird. Eine Therapie half ihr nicht. Sie flehte mich an, sie in ein Sanatorium zu bringen und sie zu verlassen. Ich habe noch drei Jahre um sie gekämpft, dann unternahm sie ihren ersten Selbstmordversuch.«
»Selbstmord«, wiederholte Megan dumpf.
Er nickte. »Sie hat gewonnen. Ich ließ sie einweisen, und sie verbrachte fünf Jahre in einer psychiatrischen Klinik. In dieser Zeit erschien Grady vor meiner Haustür. Wir holten sie aus der Anstalt, und sie war in den letzten Jahren ihres Lebens glücklich und normal. Ich stehe in seiner Schuld.«
»Anstalt«, flüsterte sie. »Ich bin nicht verrückt, Phillip.«
»Nein, das bist du nicht. Du hast nur Angst, weil deine Mutter das immer angedeutet hat.«
»Meine Mutter hat mich geliebt, und sie war meine Freundin. Sie war wunderbar, verdammt noch mal.«
»Ich widerspreche dir nicht. Ich kannte sie nicht. Grady meinte, sie sei … außergewöhnlich gewesen.«
»Was soll das heißen?«
»Greif nicht mich an, mach das mit Grady aus.«
»Ich will nichts mit Grady ausmachen. Ich bin nicht mal sicher, ob er mir die Wahrheit sagen würde.« Unwillkürlich drückte sie Phillips Hand fester. »Er war … mir gefällt nicht, was er mit mir gemacht hat. Wer, zum Teufel, ist er?«
»Er hat dich nicht belogen. Sein Name ist Neal Grady,
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