Pandoras Tochter
»Was?«
»Heute Abend liest du diese Aufzeichnungen. Ich gebe dir keine Gelegenheit, mir später vorzuwerfen, ich hätte dich von etwas abgehalten und Tatsachen geschaffen, ehe alles offen auf dem Tisch liegt.«
Sie war verwirrt, dann wurde sie ärgerlich. »Warum, zur Hölle, hast du mich dann überhaupt angefasst, du Mistkerl? War das ein Spiel? Wolltest du mir zeigen, dass du alles unter Kontrolle hast? Wer hat dich darum gebeten?« Sie wich zurück. »Verschwinde.«
»Kontrolle? Ich hätte dich schon vor fünf Minuten im Bett gehabt, wenn ich alles unter Kontrolle hätte. Wahrscheinlich hätte ich es darauf anlegen sollen«, stieß er hervor. »Und du hättest es geliebt. Du bist die sinnlichste Frau, der ich je begegnet bin. Und ich muss das wissen. Ich stand all die Jahre in enger Verbindung zu dir. Du hättest es genossen. Ich wollte nur nicht, dass du später zurückblickst und denkst, ich hätte … Oh, zum Teufel damit.«
Er knallte die Tür hinter sich zu.
Megan merkte, dass sie zitterte. Ihr war heiß, trotzdem fröstelte sie, als hätte sie Fieber.
Das muss die Wut sein.
Nein, sie wollte sich nichts vormachen. Sie war enttäuscht. Sie hatte sich ihm geöffnet und … fühlte sich zurückgewiesen.
Verfluchter Bastard.
Sie kuschelte sich in einen Sessel. Hör auf zu zittern. Denk nicht darüber nach, wie sehr du es wolltest, wie sehr du ihn willst. Das geht bald vorbei.
Würde sie ihn jemals wieder ansehen können, ohne an seine Zärtlichkeiten zu denken? Dabei hatte sie nicht einmal mit ihm geschlafen. Er hatte sie lediglich gestreichelt.
Trotzdem schlug ihr Herz so schnell, dass sie kaum Luft bekam.
Zur Hölle mit ihm.
Eine Stunde später hörte sie ein leises Klopfen an der Tür.
Sie reagierte nicht.
»Megan, machen Sie die Tür auf. Ich komme mit Geschenken.«
Harleys Stimme.
Sie stand auf und öffnete ihm die Tür.
Er überreichte ihr strahlend einen Schnellhefter mit losen Papieren. »Die Kopie von dem Tribunal-Protokoll, um das Sie Grady gebeten haben. Er hat mich beauftragt, sie Ihnen zu bringen. Er sagt, es gibt noch ein paar mehr Seiten, aber die wird er Ihnen erst geben, wenn Sie das Protokoll gelesen haben.«
»Danke. Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie heute Abend noch zu sehen. Sie sagten, Sie hätten alle Hände voll zu tun.«
»Ich habe die ersten beiden Renata Wilgers gefunden und nichts erreicht. Aber ich habe eine vielversprechende Spur, der ich heute Nacht nachgehen werde.«
»Heute Nacht?«
»Diese Renata Wilger arbeitet für eine internationale Makler- und Investment-Firma, und soviel ich erfahren habe, hat sie ein erstaunliches Gespür für lohnende Geldanlagen und Immobilientrends. Man könnte sagen, das weist auf eins dieser sogenannten Talente hin, meinen Sie nicht auch?«
»Möglich. Aber arbeiten sie in dieser Firma auch nachts?«
»Der Hausmeister in ihrem Apartmentkomplex hat mir erzählt, dass sie ein Workaholic ist und selten vor Mitternacht nach Hause kommt. Deshalb mache ich mich in ein oder zwei Stunden auf den Weg, um sie zu kontaktieren. Aber Grady hat mich gebeten, erst mit ihm zu Abend zu essen und den Botenjungen zu spielen.« Er hob die Augenbrauen. »Soweit ich es verstanden habe, leisten Sie uns beim Essen keine Gesellschaft, oder?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss dieses Tribunal-Protokoll lesen.«
»Grady meinte, einige Schilderungen werden Ihnen Alpträume bescheren. Klingeln Sie mich auf dem Handy an, wenn Sie später ein Sandwich haben wollen. Grady will nicht, dass Sie selbst den Zimmerservice anrufen.« Er salutierte grinsend und verschwand.
Megan betrachtete den Hefter. Ihr war es gleichgültig, ob der Bericht schaurig und gruselig war. Wenigstens hatte sie etwas, womit sie sich beschäftigen konnte. Sie brauchte Ablenkung. Sie setzte sich, schlug den Ordner auf und nahm die erste Seite heraus.
Folgendes schreibe ich am zwölften Junitag im Jahr des Herrn tausendvierhundertfünfundachtzig auf Geheiß des Großinquisitors Tomás de Torquemada, nieder. Dies ist das Protokoll des hochrichterlichen heiligen Tribunals im Falle der Familie Devanez.
»Wenigstens hat sie mir den Hefter nicht ins Gesicht geschleudert«, sagte Harley, als er durch das Zimmer zu Grady, der an der Minibar stand, schlenderte. »Aber sie machte einen leicht angespannten Eindruck. Was, um alles in der Welt, hast du ihr angetan?«
»Nicht annähernd genug.« Grady goss sich einen Drink ein. »Und es geht dich nichts
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