Pandoras Tochter
einen höheren Bewusstseinszustand erreicht. Deshalb war er so besessen von der sogenannten Reinheit der arischen Rasse.«
»Ich habe über seine Versuche, eine Herrenrasse zu kreieren, gelesen.«
»Dann können Sie sich vorstellen, dass er überglücklich war, als ihm eine Abschrift des Tribunal-Protokolls in die Hände fiel. Das bedeutete, dass er nicht allein auf die Evolution vertrauen musste. Er konnte selbst Supermenschen erschaffen. Das passte zu dem Bild, das er von sich selbst hatte – er sah sich nämlich als gottähnlich an. Er wollte die gefügigeren Mitglieder der Devanez-Familie ausfindig machen und sie mit blauäugigen Ariern paaren. Die restlichen Talente hätte er eingesetzt, um seine Herrschaft unangreifbar zu machen.« Sie schüttelte den Kopf. »Er war sogar bereit, die Reinheit des Blutes aufs Spiel zu setzen, um eine geistige Elite zu züchten. Natürlich musste er die geeigneten Kandidaten erst finden. Also schickte er Himmler auf Hexenjagd; er sollte Berichte über übersinnlich Begabte sammeln und ihre Abstammung ergründen. Himmler fand Dokumente, die ihn zu meinem Urgroßvater Heinrich Schneider führten.« Sie verzog den Mund. »Unglücklicherweise eignete er sich nach Ansicht Hitlers nicht als Zuchthengst. Heinrich war Jude, und das hieß, dass er ›verseucht‹ war. Aber es bestand die Chance, dass er wusste, wo andere Talente, akzeptablere, zu finden waren. Er wurde ins Konzentrationslager Auschwitz gesteckt, genau wie seine ganze Familie. Seine Frau und zwei seiner Kinder wurden vor seinen Augen getötet, weil er sich weigerte zu verraten, wo sich die Chronik befand.«
»O mein Gott.«
»Dabei wusste Heinrich gar nicht, wo sie war. Er war nicht der Bewahrer. Er durchlebte Jahre des Hungerns und der Folter. Als er bei Kriegsende aus dem Konzentrationslager befreit wurde, war sein Gesundheitszustand so schlecht, dass er vier Monate später starb. In den Kriegsjahren ist es uns gelungen, die meisten Devanez-Nachkommen aus Deutschland herauszuschmuggeln. Sechshundertfünfundzwanzig Leute überquerten die Grenzen und ließen sich in anderen Ländern nieder. Und das konnten wir nur«, fügte sie bedächtig hinzu, »weil wir die Chronik hatten. Es wird immer Torquemadas, Hitlers und Molinos in dieser Welt geben. Wir müssen auf sie vorbereitet sein.« Sie nahm ihre Tasse wieder in die Hand. »Damit wir sie zermalmen können wie Kakerlaken.«
»Mir scheint, ihr seid eher vor den Kakerlaken davongelaufen.«
Renata hob die Schultern. »Sie haben recht; damit habe ich auch ein Problem. Ich habe Edmund versprochen, die Chronik nicht in Gefahr zu bringen. Und ich halte mein Versprechen. Aber«, fuhr sie fort, »ich werde Molino auch nicht am Leben lassen, nachdem er Edmund so gequält hat. Also benutzen Sie mich, um den Hurensohn in die Falle zu locken.«
»Nein.«
»Denken Sie darüber nach.« Sie stellte die Tasse wieder auf die Arbeitsfläche. »Ich lasse Ihnen zwei Tage Zeit, Ihre Meinung zu ändern. Sie wissen, wo Sie mich finden können.«
»Solange Sie nicht wieder durch den Keller abhauen«, meinte Harley, der hinter Megan auftauchte. »Ich habe diskret vor der Haustür gewartet, weil ich dachte, dass Renata ohne Zuhörer mit Ihnen sprechen wollte, Megan.« Er schaute von einer zur anderen. »Ist Ihre Unterhaltung beendet? Renata, ich begleite Sie zurück zu Ihrem Haus.«
»Sie wussten von dem Keller und dem Gang?«
»Etliche Häuser hier in der Umgebung haben diese Keller. Ich habe mich mit dem Hausbesitzer, der mir dieses Haus vermietet hat, unterhalten, und er hat mir von dieser Besonderheit erzählt. Deshalb habe ich an einer Stelle Posten bezogen, von der aus ich sowohl Ihre Haustür als auch den Tunnelausgang beobachten konnte.«
»Sehr clever«, gab Renata zu.
»Ich hab hin und wieder helle Momente.« Er sah Megan an. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Ich glaube, Renata hat alles gesagt, was sie sagen wollte.«
»Dann bringe ich sie nach Hause. Ich glaube nicht, dass Grady ihr Haus weiter observieren lässt. Das hat keinen Sinn. Ich war in Renatas Haus, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sie hierher wollte. Sie hat Hightech-Equipment und Waffen, um die sie James Bond beneiden würde.«
Megan hob die Brauen. »Cousin Mark?«
»Natürlich«, antwortete Renata schlicht. »Er ist der Meinung, dass man auf alle Eventualitäten vorbereitet sein muss. Er hat mich seit dem Tod meiner Eltern trainiert.«
»Um die Chronik zu bewachen?«
»Und um
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