Pandoras Tochter
Sein Griff um ihre Hand wurde fester. »Lass dich nicht hineinziehen, Megan.«
Sie zeigte ein schwaches Lächeln. »Aber du bist doch derjenige, der mich hineinzieht. Du hast mich gebeten, die Chronik an mich zu bringen. Das kann ich nicht ohne Renata.«
»Distanziere dich. Das ist der einzige Weg, um …« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Was rede ich da? Du weißt nicht, wie man sich distanziert. Das läuft deinem Charakter zuwider. Dir fällt es ja sogar schwer, dich davon zu überzeugen, dass du dich von mir fernhalten solltest.«
Sie senkte den Blick auf ihre Hände. Seine Berührung fühlte sich gut an, sicher. Er hatte recht, sie wollte nicht auf diese Stärke verzichten. Entschlossen entzog sie ihm ihre Hand. »Aber ich kann es. Du redest, als wäre ich ein Emotionsjunkie. Ich kann alles, was ich muss. Ich kann weggehen, wann immer ich will.«
»Aber ein solcher Schritt schmerzt dich mehr als andere«, sagte er sanft. »Und wenn du ein Junkie bist, dann würde ich dich nicht anders haben wollen. Du strahlst, du glühst, du brennst. Ich spüre deine innere Wärme, wenn du bei mir bist.«
Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Etwas schmolz in ihr – so hatte sie noch niemals empfunden. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und Grady berührt.
Dann wäre sie wieder an dem Punkt angelangt, an dem sie gewesen war, als sie das Bett verlassen hatte. »Wir reden über Renata.«
»Ja.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Und du willst unsere Unterhaltung auf ein unpersönliches Thema lenken. Aber zwischen uns gibt es nichts Unpersönliches. Ist dir das noch nicht klar geworden? Wir beginnen kühl und sachlich, und dann geht es bergab. Du fragst dich, ob ich dich anfasse. Nein, nicht im Moment. Ich kann mich zurückhalten, weil dich offensichtlich zu vieles belastet. Aber es wird geschehen. Ich kann nicht anders.« Er schmunzelte. »Wir versuchen, ein wenig zurückzurudern, und verschaffen dir eine Verschnaufpause.«
»Wie reizend«, erwiderte sie humorlos, ehe sie auf etwas anderes zu sprechen kam. »Ich will nicht, dass sich Renata in Gefahr bringt, und sie weigert sich, uns diese Chronik zu überlassen – trotzdem muss es eine Möglichkeit geben, wie sie uns helfen kann.«
»Nach allem, was du mir erzählt hast, habe ich den Eindruck, dass es nach ihrem Willen geht oder gar nicht.«
»Dann muss sie eben ihren Entschluss ändern.«
Grady kicherte leise. »Ich entdecke gerade eine echte Familienähnlichkeit. Ich weiß nicht, wie das bei anderen aus dem Devanez-Clan ist, aber ihr beide könntet Schwestern sein – Seelenverwandte.«
»Lächerlich. Wir ähneln uns gar nicht.«
»Trotzdem kämpfst du mit Zähnen und Klauen für ihre Sicherheit.«
Ja, sie mochte Renata. Trotz der Widerspenstigkeit und des Eigensinns erahnte Megan hinter der Fassade eine Verletzlichkeit, die ihren Beschützerinstinkt ansprach. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte Renata niemanden, der sich wirklich um sie kümmerte – abgesehen von ihrem Cousin Mark, der sich darauf konzentrierte, sie am Leben zu erhalten, von dem sie jedoch weder Geborgenheit noch Zuneigung bekam. »Es ist nur natürlich, dass ich ihr helfen möchte. Wir beide mussten uns schon früh allein durchschlagen, aber ich hatte Phillip. Ich glaube kaum, dass sie jemanden hatte.«
»Augenscheinlich hat euch diese Gemeinsamkeit in verschiedene Richtungen geführt. Du wurdest Ärztin, und sie wurde Lara Croft, die sich mit James Bond anlegt.« Er winkte ab, als Megan den Mund aufmachte. »Ich mache sie nicht schlecht. Vieles an ihr respektiere ich.« Er lächelte. »Lara Croft und James Bond respektiere ich auch. Du musst dich damit abfinden, dass Renata keinen Augenblick zögern würde, auf den Abzug zu drücken, wenn sie in die Enge getrieben wird. Du quälst dich und versuchst verzweifelt, eine andere Möglichkeit zu finden; sie hingegen überdenkt im Bruchteil einer Sekunde ihre Optionen und macht, was getan werden muss.« Er hob die Tasse an seine Lippen und trank, dann fuhr er fort: »Und das ist nicht notwendigerweise auf unterschiedliche Charaktereigenschaften oder die Erziehung zurückzuführen. Es könnte auch an euren Talenten liegen. Deine Begabung basiert auf einem emotionalen Verantwortungsgefühl, das dein Leben bestimmt. Renatas Talent ist abstrakter. Sie kann Muster und Verbindungen erkennen und sieht die nächsten Schritte, vielleicht sogar das Resultat voraus. Das ist eher eine mentale als eine emotionale Gabe.«
»Ich
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