Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
Vom Netzwerk:
erkannte Sariel plötzlich, war bunt.
    Bei den Tieren, die an den dornigen Sträuchern fraßen, handelte es sich um Artverwandte des Sandspringers, wie Liya erklärte, die in den Wüstensiedlungen der Ori zu Reittieren abgerichtet wurden. Springen war die einzige Fortbewegungsform der Tumbos, wie Liya die Tiere nannte. Harmlose Pflanzenfresser, die bei den Ori als Delikatesse galten. Sariel verzichtete dennoch darauf, einen Tumbo zu probieren. Mondtränen reichten ihm.
    Die Luft wurde nun stündlich wärmer und roch würzig nach Gras und Kräutern und Sonne. Liya, die die letzten Tage sehr still gewesen war, schien aufzutauen und lächelte jetzt wieder öfter.
    Am Abend des elften Tages erreichten sie ein kleines Hochplateau, von dem sie einen ersten Ausblick auf das da-hinterliegende Land hatten.
    »Siringit!«, sagte Liya. »Die Große Weite!«
    Die Große Weite. Sariel war inzwischen einiges an spektakulären Landschaften gewohnt, aber das hier verschlug ihm die Sprache. Eine sanft gewellte, fruchtbare Steppe spannte sich bis zum Horizont vor ihm auf und noch weit dahinter. Bauschige Wolkenberge glühten im Abendlicht und ballten sich in der Ferne zu ersten Gewittern. Sariel sah Flüsse, die sich weit ins Land verästelten. Das hohe, wogende Steppengras war grün und blassbläulich und manchmal auch rot und sah aus wie der Körper eines großen schlafenden Tieres. Dazwischen, wie uralte Höcker, die versprengten und überwucherten Felsbrocken, Reste jenes verheerenden Vulkanausbruchs von Millionen von Jahren, wie ihm Liya erklärte. Zwischendurch vereinzelte Wäldchen und kleine Haine, aus denen seltsame Tiere traten. Überall waren Tiere. Tausende. Hunderttausende. Selbst aus der Entfernung konnte Sariel gewaltige Herden erkennen, die langsam ihres Weges zogen oder an Wasserlöchern rasteten. Sariel entdeckte auch Kalmare, die in Clans von zehn bis zwanzig Exemplaren durch die Savanne streiften und dabei unsichtbaren Pfaden zu folgen schienen. Da verstand Sariel alles, was er jemals über das Paradies gelesen hatte.
    Der achte Tag, dachte er ergriffen. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass er etwas sehen durfte, was weder seine Eltern noch seine Freunde noch irgendjemand sonst aus seiner Zeit sehen würden. Es war ein Geschenk, einer der großartigsten Momente seines Lebens, und erfüllte ihn von Neuem mit Hoffnung. Der Anblick der Siringit berührte etwas in seinem Innern, eine uralte Menschheitserinnerung an ein verlorenes Glück. Und seltsam, obwohl er ein Fremder war in dieser Welt, fühlte Sariel sich plötzlich angekommen.
    Der Anblick jedoch, der ihn am meisten in den Bann schlug, war der Ngongoni. Sariel erinnerte sich, den Vulkan in seinen Lehrträumen gesehen zu haben. Auch Liya hatte viel von dem ewig wolkenverhangenen Berg erzählt. Sariel hatte sich den Vulkan als einfachen Kegel vorgestellt. Tatsächlich aber war er gigantisch. Ein Koloss in der Ferne, der sich zu allen Seiten ausbreitete und fast den gesamten östlichen Horizont beherrschte. Seine dunklen Flanken sahen aus wie riesige Schwingen eines monströsen Fabelwesens, das sich vor Anbeginn aller Zeit auf der Erde niedergelassen hatte, schwer und erdrückend, um etwas ebenso Monströses und Böses auszubrüten. Dennoch wusste Sariel inzwischen, dass der Ngongoni für die Ori ein Symbol des Lebens war, weil an seinen Flanken die Mondtränen im Überfluss wuchsen. Für die Sari war der Ngongoni der Hort allen Übels -für die Ori war er ein Heiligtum.
    Liya bemerkte Sariels Ergriffenheit und ihr schien es nicht viel anders zu gehen. Sie deutete nach Norden, wo sich in der Ferne gerade ein abendliches Gewitter entlud.
    »Da hinten unter den Blitzen liegt Orisalaama. Morgen wirst du die Stadt schon sehen können. Wir haben es fast geschafft.«
    Sariel nickte nur. Nach Reden war ihm nicht mehr zumute. Schweigend machten sie ein Feuer und sahen zu, wie die Nacht über der Siringit hereinbrach und alles unter ihnen im Dunkel verschwand. Fast alles. Denn zum ersten Mal seit seinem Aufbruch aus Sar-Han sah Sariel Lichter in der Nacht. Die Lichter der fernen Ori-Siedlung zwinkerten ihnen freundlich zu, und obwohl sich Sariel vor den Ori fürchtete, freute er sich doch, nach der langen Wanderung bald wieder unter Menschen zu sein.
     

Verdacht
    Liya wollte Orisalaama unbedingt noch am nächsten Tag erreichen. Sie hatte genug von den Bergen, und sie hatte genug von dem Zweifel, ob sie Sariel trauen konnte oder ob er ihr nicht doch eines Nachts die

Weitere Kostenlose Bücher