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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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Kehle durchschneiden würde. Die ganzen letzten Nächte hatte sie nur wenig und unruhig geschlafen, immer mit dem Messer in der Faust unter der Decke. Sie war verwirrt und wusste nicht genau, warum. Sariel war seltsam. Schon wie er sie anschaute. Jetzt, da Orisalaama bereits in Sichtweite lag, wollte sie so schnell wie möglich in den Schutz ihrer Heimatsiedlung zurück und sich Rat und Hilfe holen. Daher schliefen sie nur ein paar Stunden und brachen noch in der Nacht auf. Bei Sonnenaufgang hatten sie die Berge bereits hinter sich und tauchten ein in die Siringit. Liya konnte das tausendfache Leben ringsum im Gras hören und riechen und war froh, die Berge hinter sich zu lassen. Hin und wieder warf sie Sariel einen Blick zu. Die Siringit schien ihn zu überwältigen, das hatte sie schon am vergangenen Abend gespürt. Es hatte sie sogar irgendwie gefreut, dass ihre Heimat so einen tiefen Eindruck auf ihn machte.
    Sie sprachen nicht viel auf dem letzten Stück. Sariel war ganz mit Schauen, Horchen und Staunen beschäftigt. Offenbar hatte er noch nie wilde Tiere gesehen. Liya hatte ebenfalls wenig Lust zu reden, denn sie dachte wieder an den Mord an ihrem Trupp. Der Anblick der Leichen hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Liya war inzwischen überzeugt, dass es unter den Zhan Shi einen Verräter geben musste, denn nur ein Zhan Shi konnte gewusst haben, welche Route sie nehmen würden, und nur Krieger besaßen Shis, mit denen die Mädchen getötet worden waren. Liya überlegte, wem sie vertrauen und von ihrem Verdacht erzählen konnte. Ihr Vater und ihre Brüder waren weit weg und in Orisalaama hatte sie durch die vielen Reisen mit der Karawane nur noch wenige Freunde. Liya überlegte auch, was wohl mit Sariel geschehen würde und mit der Zeitmaschine, die sie immer noch im Rucksack trug. Sie hoffte, dass es ihr gelingen würde, den Gon Shi von Orisalaama zu überzeugen, Sariel nicht zu töten. Aber auch die Aussicht, dass sie ihn weit weg irgendwo ans Ende der Welt verbannten, stimmte sie plötzlich traurig.
    Zwei schweigende Menschen tragend, folgte Biao einem uralten breiten Trampelpfad der Kalmare, der geradewegs auf die größte Siedlung der Ori zuführte. Aus der Entfernung sah man nur wenig, kaum mehr als eine Ansammlung niedriger ockerfarbener Gebäude, die mehr wie einer jener versprengten Felsbrocken wirkte als wie eine Stadt. Aber je näher sie kamen, desto deutlicher wurden die wahren Ausmaße von Orisalaama.
    »Wie viele Einwohner hat die Stadt?«, fragte Sariel.
    »Ich weiß es nicht genau. Hunderttausend? Zweihunderttausend? Dreihunderttausend? Niemand hat es je gezählt.«
    »Wie viele Ori gibt es denn überhaupt auf der Welt?«
    Liya lachte. »Wer soll das denn wissen? Du kannst uns ja mal zählen, wenn dir das so wichtig ist.«
    Sariel verdrehte die Augen, aber das nahm sie kaum noch wahr. Sie hatte etwas entdeckt, das ihre Aufmerksamkeit weit mehr fesselte. Direkt voraus kam ihnen zügig ein Trupp Zhan Shi auf Kalmaren entgegen. Liya hatte keinerlei Zweifel, dass es sich um eine Abordnung handelte, die sie in Empfang nehmen sollte. Offenbar waren sie längst gesichtet worden.
    Liya registrierte eine impulsive Bewegung bei Sariel, und für eine Sekunde dachte sie, er wolle fliehen. Er schien jedoch längst eingesehen zu haben, dass er allein in der Savanne verloren war, und verhielt sich weiter ruhig. Liya zog ein kurzes Seil aus ihrer Satteltasche und wandte sich zu ihm um.
    »Tut mir leid, aber ich muss das jetzt tun.«
    Sariel schien zu verstehen. »Schon in Ordnung.«
    »Es ist nur zu deiner eigenen Sicherheit. Als mein Gefangener wird es niemand wagen, dich einfach abzuknallen.«
    »Wenn du das sagst.« Er wirkte nicht überzeugt. Dennoch ließ er sich widerstandslos von ihr fesseln. »Was wirst du ihnen über mich erzählen?«
    Die Frage traf mitten ins Schwarze. Genau darüber hatte Liya schon die ganze Zeit nachgedacht. Die Ori würden einen Sariel niemals verschonen, bloß weil Liya ihnen versicherte, dass sie sich in ihren Träumen schon einmal begegnet waren. Dass er ihr das Leben gerettet hatte, sprach zwar für ihn, war aber immer noch kein Grund, ihm zu vertrauen. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, würden die Oberen seine Geschichte glauben. Dass er aus einer fernen, vergangenen Zeit kam. Dass er nur zurück nach Hause wollte. Aber auch das würde ihm nichts nützen. Sariel blieb Sariel. Und solange er lebte, würden ihn die Ori für eine tödliche Bedrohung

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