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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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Liyas Gesicht zu erhaschen, und sah grenzenlose Enttäuschung und Verzweiflung darin. Seltsamerweise freute ihn das.
    Zwei Krieger hatten Sariel fest im Griff, die anderen hatten jetzt wieder ihre Druckluftharpunen auf Sariel gerichtet, offenbar bereit, ihn bei der kleinsten Gegenwehr zu erschießen. Sariel dachte jedoch nicht daran, ihnen diesen Gefallen zu tun. Da er vorläufig ohnehin keine Chance zur Flucht sah, gab er sich gefügig und ließ sich von den Zhan Shi durch lange Flure und Hallen führen, von denen zahlreiche Räume abgingen. Menschen sah er nicht. Das ganze unheimliche Gebäude verzweigte sich wie ein Labyrinth. Sariel verlor schon nach kurzer Zeit völlig die Orientierung. Als die Krieger ihn schließlich in einen kargen Raum im Erdgeschoss stießen, dessen Tür sie mit einem schweren Riegel sicherten, hätte er nicht mehr sagen können, in welcher Richtung und Entfernung der Innenhof lag, in dem er von Liya getrennt worden war.
    Das Gefängnis maß etwa vier mal vier Meter. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm, Licht sickerte nur durch ein schmales Oberlicht herein. Zu schmal und zu hoch, als dass er es hätte erreichen und hinausklettern können. Die ganze Einrichtung des Raumes bestand aus einer einfachen Lagerstätte, belegt mit muffigen Tierfellen. Neben dem Lager fand Sariel einen Trinkschlauch voll Wasser und eine Tagesration Mondtränen. In einer Ecke des Raumes gab es ein Loch, aus dem es furchtbar stank. Von draußen drangen keine Geräusche herein, als würde die Welt nicht mehr existieren.
    Einfach nicht mehr da sein. Einen Moment lang blieb Sariel nur so stehen, mit der schwachen Hoffnung im Herzen, die Tür würde plötzlich wieder aufgehen oder er aufwachen, oder sonst was würde passieren, das alles ungeschehen machen könnte.
    Aber das Wunder blieb aus. Das Zwielicht des Raumes wurde zwielichtiger, die Stille immer stiller und der Gestank aus dem Loch kroch langsam näher wie ein widerliches krankes Tier. Oder wie die Zeit, die kranke Zeit, die ihn gefangen hielt und ihn auch noch auslachte.
    Mit dem Gefühl tiefster Hoffnungslosigkeit verkroch sich Sariel in die Ecke, die am weitesten von dem Loch entfernt war, und vergrub seinen Kopf zwischen den Knien und weinte. Er weinte um alles, was er verloren hatte, endgültig verloren. Er weinte um seine Eltern, er weinte um den roten Kater und er weinte um sich. Aber anders als früher schenkten die Tränen keinen Trost mehr. Sie verstopften ihm nur ein wenig die Nase und ersparten ihm für eine Weile den unerträglichen Gestank aus dem Sickerloch.
    Sariel ahnte, dass ihm lange Verhöre bevorstanden. Sari und Ori schienen nicht allzu viel voneinander zu wissen, und wie es aussah, war er der erste Sariel, den man gefangen genommen hatte. Möglicherweise würden sich die Verhöre über Tage oder gar Wochen hinziehen. Aber das fand er sogar irgendwie tröstlich, denn es bedeutete, dass sie ihn aus dem stinkenden Raum rausholen würden. Und es bedeutete Aufschub. Bedeutete Leben.
    Hunger hatte er seltsamerweise keinen, aber Durst, großen Durst. Er trank das Wasser in einem Zug, aber gleich danach fühlte er sich schon wieder durstig. Die Mondtränen rührte er nicht an. Irgendwann musste er pinkeln. Eine Weile gelang es ihm, den Harndrang zu ignorieren. Die Vorstellung, sich an das Loch stellen zu müssen, war schlimmer als der Druck auf der Blase.
    Bis es nicht mehr ging.
    Stöhnend richtete sich Sariel auf, hielt die Luft an und stellte sich an das Loch, ohne hineinzusehen, weil er fürchtete, dass es ihn verschlingen würde. Aber er brauchte zu lang, musste zwischendurch prustend ausatmen, und der Gestank schlug ihm wie eine Faust ins Gesicht, dass er sich fast übergeben hätte - wenn er nur irgendwas im Magen gehabt hätte.
    Etwa zur gleichen Zeit stand Liya vor ihrem Vater. Der Raum, in dem er sie empfing, lag nicht weit von Sariels Gefängnis entfernt in einem ruhigen Trakt des Palastes. Es war kühl hier, kaum ein Laut der lärmenden Stadt drang bis hierher. Chuang Shi, Liyas Vater, unterbrach eine Besprechung mit drei älteren Zhan Shi, als Liya von Li hereingeführt wurde. Ohne dass ein weiteres Wort fiel, entfernten sich die Krieger und warfen Liya im Vorbeigehen seltsame Blicke zu. Liya sagte nichts, wartete nur, bis sich hinter ihr die Tür schloss und sie mit ihrem Vater allein war. Ihr Vater, so schien ihr, war in den vergangenen Wochen sehr gealtert. Sein Haar war weißer und dünner, seine Haut faltiger. Chuang Shi wirkte

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