Pangea - Der achte Tag
mehr, verließ die Wohnung und steuerte das Hik zu dem zentralen Gebäude, in dem der oberste Rat tagte. Alle Türen öffneten sich, niemand hielt ihn auf, denn als Sariel hatte er Zugang zu allen Einrichtungen der Stadt. Lin-Ran empfing ihn in einem großen, schmucklosen Saal mit einem ellipsenförmigen Konferenztisch aus poliertem Holz. Sariel zählte dreizehn Stühle. Hatte er sich irgendwie anders vorgestellt, das Zentrum der Macht, prächtiger, doch irgendwie passte es auch zu ihnen, fand er.
Lin-Ran begrüßte ihn freundlich, aber hinter seinem Lächeln bemerkte Sariel die Anspannung. Möglicherweise hatte er bereits mit Eyla gesprochen. Möglicherweise hatte Eyla die ganze Zeit über Bericht erstattet.
»Ich werde gehen«, sagte Sariel ohne Umschweife. Im gleichen Augenblick wurde ihm übel, und er musste sich an einem der Stühle festklammern, wie auf einem Schiff in schwerer See.
Lin-Ran nickte und sein Lächeln wurde eine Spur wärmer. »Wir haben nichts anderes erwartet. Eyla wird sich freuen, das zu hören. Sie war sehr verzweifelt.«
Sariel freute sich sogar darüber. Er machte ein ernstes, möglichst kerniges Gesicht und fragte: »Wann soll es also losgehen?«
»Morgen früh«, sagte Lin-Ran. »Es ist schon alles vorbereitet.«
Das traf Sariel wie ein Schlag in den Magen. »Morgen???«
Lin-Ran überhörte die Panik in seiner Stimme. »Wir haben viel Zeit verloren. Je länger du noch wartest, desto schwerer wird es für dich werden, loszugehen. Du kannst den Ngongoni in zwei Tagen erreichen. Ein Tag, maximal zwei, um das Zentrum zu finden und die Zeitmaschine dort zu deponieren. Noch mal zwei Tage für den Rückweg, dann hat dich Eyla in einer Woche wieder, für uns alle beginnt ein neues Zeitalter, und du kannst dir in Ruhe überlegen, ob du bei uns bleiben oder lieber zurück in deine Zeit möchtest.«
Sariel wurde schwindelig. Morgen früh. Sein Magen krampfte sich zusammen, und er hatte plötzlich das drängende Gefühl, aufs Klo zu müssen.
»Aber ich weiß doch gar nicht genau, was ich tun muss!«
»Keine Sorge, wir versetzen dich in einen Lehrschlaf. Wenn du morgen aufwachst, wirst du alles Nötige wissen und können.«
»Kann ich Eyla vorher noch einmal sehen?«
Lin-Ran schüttelte bedauernd den Kopf. »Sie wird auf dich warten. Aber bis morgen früh haben wir ein strammes Programm. Es ist besser, wenn du dich ab sofort voll und ganz auf die Aufgabe konzentrierst.«
Lin-Ran sah ihn jetzt durchdringend an. »Du hast es doch ernst gemeint, nicht wahr?«
Sariel versuchte, dem Blick standzuhalten, aber es gelang ihm nicht. Trotzdem nickte er. »Natürlich.«
»Gut. Dann fangen wir an!«
Lìyas Aufgabe
Liya lag auf einem flachen Felsbrocken, der sich wie ein großer abgeschliffener Kiesel aus einem Meer von Sand erhob. Sie lag auf dem Rücken, ruhig und schwer, fast ein Teil des Steines selbst, und starrte in den verglühenden Abendhimmel. Die Sonne war soeben hinter dem Horizont verschwunden, erste Sterne tauchten auf am Firmament, und wenn sie den Kopf ein wenig neigte, konnte sie auch den Mond sehen.
Die Ruhe und die Schönheit der Wüstendämmerung halfen ihr über vieles hinweg. Den Schock und die Trauer über den plötzlichen Tod ihrer Mutter. Den Zorn auf ihren Vater. Den Neid auf ihre Brüder. Die Strapazen und die Selbstvorwürfe des vergangenen Tages. Der Tag, an dem sie fünfzig Kalmare ins Herz der Wüste entführt hatte.
Liya blinzelte zum Mond hinauf, der als schmale abnehmende Sichel im Osten aufging. Noch zwei Tage bis Neumond, Liyas liebste Mondphase. Der Neumond ließ der Fantasie Raum. Sich vorzustellen, was auf der dunklen Seite des Mondes passierte. Sich vorzustellen, dass alles wieder neu begann.
Liya fragte sich, wie ihr Neuanfang aussehen sollte. Die Kalmare zu entführen, war eine Entscheidung des Augenblicks gewesen. Vielleicht dumm und kindisch, aber nicht mehr umzukehren. Nach diesem Vergehen würden die Zhan Shi sie ohnehin aus der Gemeinschaft verstoßen. Der Weg zurück war damit versperrt. Und vor ihr lag nur die Wüste.
Hoch oben am Himmel zogen zwei Feuerspucker vorbei.
An ihrer Flughöhe und Geschwindigkeit erkannte Liya, dass sie keine akute Gefahr darstellten. Sie hatten ein anderes Ziel. Dennoch rissen sie Liya aus ihrer friedlichen Stimmung zurück in die Realität. Diese verfluchten Bestien hatten ihr die Mutter geraubt!
Liya richtete sich auf, spuckte Sand aus und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. Sie wollte nicht an ihre
Weitere Kostenlose Bücher