Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
Vom Netzwerk:
vor Wut.
    »Um mich zu beeindrucken, Tochter von Chuang Shi Ren, bedarf es mehr, als fünfzig Kalmare zu entführen.«
    »Dann lasst es mich beweisen!«, presste Liya heraus. »Ich bin eine Kriegerin. Ich bin schnell, ich bin stark, ich bin mutig - gebt mir eine Chance!«
    Ein Raunen ging durch die Menge der Krieger. Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit dem Gon Shi zu sprechen.
    »Die hattest du schon«, erwiderte Zhe. »Der Stall war deine Chance. Eine Prüfung in Disziplin und Bescheidenheit. Du hast leider nicht bestanden.«
    Ohne Liyas Reaktion abzuwarten, drehte sich Zhe um und ging zurück in den Palast. Das Schlurfen seiner Sandalen im Sand war das einzige Geräusch ringsum. Liya wollte etwas sagen, irgendetwas, wollte schreien, ihrer ganzen Enttäuschung und Wut einen Klang geben, der das Universum erschüttern, die Zeit zurückdrehen und so viele Fehler ungeschehen machen könnte. So viele Fehler. So viel Ungerechtigkeit. Aber in dem Moment, als sich der Gon Shi mit der leisen Stimme und den scharfen Augen von ihr abwandte, verstand sie, dass doch alles umsonst wäre. Dass sie verloren hatte. Dieser Mann hatte seine Entscheidung gefällt, und er wäre nicht der höchste Zhan Shi, wenn er sie wegen des Wutausbruchs eines fünfzehnjährigen Mädchens über den Haufen werfen würde.
    Also schwieg Liya, schrecklich allein auf dem Kalmar, und sah Zhe in den Palast zurückschlurfen und mit ihm ihre Zukunft, all ihre Hoffnungen. Ihr Leben.
    Der Kalmar schien ihre Verzweiflung zu spüren, denn er winkte mit seinem Fangtentakel durch die Luft, als wollte er einen stickigen Geruch wegwedeln, der Liya einhüllte. Gleichzeitig spürte Liya, dass der Kalmar irgendetwas rief. Er machte kein Geräusch, aber Liya spürte den Ruf in allen Fasern ihres Körpers.
    Doch der Ruf galt nicht ihr.
    Der Gon Shi war bereits im Palast verschwunden. Plötzlich aber erschien er wieder aus dem dämmerigen Zwielicht und blinzelte in Liyas Richtung. Im gleichen Moment verstand Liya, dass er nicht sie, sondern den Kalmar ansah. Der Kalmar hatte ihn zurückgerufen! Liya konnte es deutlich an der Verwunderung ablesen, die Zhe im Gesicht stand. Und das war die eigentliche Sensation, denn unter den Zhan Shi galt es als höchste Tugend und Zeichen der Würde, sich niemals, unter keinen Umständen, Gefühlsregungen ansehen zu lassen.
    Die Zhan Shi, die immer noch um Liya herumstanden, bemerkten es ebenfalls. Unruhe zitterte durch die Menge wie eine plötzliche Böe.
    Der Gon Shi kam auf den Kalmar zu und berührte behutsam seinen ausgestreckten Fangtentakel. Liya beachtete er dabei gar nicht.
    »Ich lebe schon lange«, sagte der Gon Shi leise, wie zu sich selbst. »Ich habe viel gesehen. Ich habe gesehen, wie ein junger Zhan Shi den letzten Sariel tötete, bevor der Sariel mich töten konnte. Ich habe viele Kalmare gekannt und ich kenne mich aus mit ihren seltsamen Gefühlen und Stimmungen. Aber noch nie, noch nie in diesem langen, seltsamen Leben, hat ein Kalmar zu mir gesprochen. Bis heute.« Der Gon Shi tätschelte den Tentakel des Kalmars. Dann richtete er den Blick auf Liya, und Liya las Erschütterung und Ergriffenheit in seinem Gesicht.
    »Du hast es ebenfalls gehört, Tochter von Chuang Shi Ren, nicht wahr?«
    Liya nickte. »Ich habe sie schon öfter gehört.«
    »Das ist ein großes Geschenk. Ich weiß nicht, ob du ein solches Geschenk verdient hast, aber die Kalmare haben dich offenbar auserwählt. Sie vertrauen dir.« Das schien dem Gon Shi irgendwie zu missfallen, denn sein Ausdruck verdüsterte sich. Dennoch fuhr er fort. »Dieser Kalmar hat mich zurückgerufen wegen dir. Und wenn ich in diesem Leben eines gelernt habe, dann, dass man Kalmaren folgen soll, egal wohin. Ohne die Weisheit der Kalmare wären wir längst alle ausgelöscht.« Der Gon Shi ließ den Tentakel los und verneigte sich leicht vor dem Kalmar.
    »Wenn ich den Kalmar richtig verstanden habe, ist deine Prüfung offenbar noch nicht beendet«, sagte er dann zu Liya. »Also komm!«
    Ohne weitere Erklärung wandte er sich wieder um und eilte zurück in den Palast. Liya wusste nicht, was sie davon halten sollte, und blieb einfach auf dem Kalmar sitzen. Bis der Fangtentakel des Kalmars durch die Luft schnellte, sie wie eine Peitsche umschlang, einmal durch die Luft wirbelte und unsanft auf dem Boden absetzte. Er gab ihr tatsächlich einen Schubs.
    Lauf!
    Ohne einen weiteren Moment des Zögerns rannte Liya los, dem Gon Shi hinterher. Niemand folgte ihr, niemand hielt sie

Weitere Kostenlose Bücher