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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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Rettungskokons waren jetzt weich und klebrig. Sariel brauchte seine ganze Kraft, um sie von den Felsen abzureißen. Er versuchte, alles, was er an Kokonresten entdecken konnte, vom Boden abzulösen, zusammenzupressen und in einem Felsspalt zu verstecken. Schwere Arbeit. Ständig wurde ihm schwindelig davon. Er bekam Kopfschmerzen von der dünnen Luft und musste oft Pause machen, keuchte wie kurz vor dem Ersticken. Aber er machte weiter.
    Es war bereits Mittag und schon sehr heiß, als er fertig war. Sariel trank etwas Nglirr-Konzentrat, schnallte sich den Rucksack fest auf den Rücken - und marschierte los.
    Pangea erwartete ihn.
    Sariel hatte keine Vorstellung von der Weite, der schieren Unendlichkeit der Landschaft, in der er sich nun bewegte. Er dachte nicht daran, dass die Berge, die er durchwanderte, sich Tausende von Kilometern zu allen Seiten erstreckten. Dass dahinter eine Savanne lag, so groß wie Europa, und irgendwo in der Mitte ein mächtiger Vulkan, wolkenverhangen und sturmumtost, den er bereits vier Tagesmärsche vorher sehen würde. Falls er überhaupt so weit kam. Denn er gehörte nicht in diese Welt, er war ein Fremdkörper in einem gesunden Organismus. Und Fremdkörper wurden abgestoßen.
    Aber an all das dachte Sariel eben nicht, nicht an die wilden Tiere, die es selbst in dieser Höhe geben mochte, noch an die Ori, die bereits aufgebrochen waren, um ihn zu töten. Und das war sein Schutz gegen die Verzweiflung und die Ohnmacht und den Wahnsinn in einer wahnsinnigen Welt. Sariel dachte immer nur an den nächsten Schritt. Nur manchmal, wenn der Weg einfacher wurde und die Gedanken sich Räume suchten, dann dachte er an zu Hause. An Hamburg. An seine Eltern und an ein Leben, das ihm inzwischen so unwirklich und fern erschien wie diese neue Welt, die er gerade durchquerte, um etwas Monströses zu töten, über das er so gut wie nichts wusste. Als er daran dachte, wurde Sariel klar, dass er nirgendwo mehr hingehörte. Er war heimatlos. Das raubte ihm den Atem, aber es machte ihn wütend genug, um dieses Schicksal auf keinen Fall zu akzeptieren. Er wollte wieder irgendwo hingehören. Und egal, wo das sein würde, in der alten oder der neuen Welt, er würde sich seinen Platz erkämpfen und ihn mit seinem Leben verteidigen, wenn es sein musste, denn nichts war schlimmer, als ein Niemand zu sein.
    Das war der Plan. Kein Niemand zu sein. Ein guter Plan.
     

Tribunal
    Die sieben dunklen Punkte im flirrenden Hitzeglast vor der gigantischen Bergkulisse des Regenschattengebirges schienen stillzustehen. Luftspiegelungen nur, Trugbilder. Dabei bewegten sie sich durchaus. Sehr langsam zwar, unendlich langsam angesichts der schieren Weite vor ihnen und der Gipfel, die zehntausend Meter über ihnen aufragten -aber sie bewegten sich. Jetzt schon eine Woche und immer noch hatten sie ihr Ziel nicht erreicht.
    Liya wusste, dass die Eintönigkeit einer Wüstendurchquerung nach Wassermangel, Feuerspuckern und Gigamiten zu den größten Gefahren gehörte. Wochenlang durch immer gleiche Landschaft zu reiten, erschöpfte Auge und Seele schnell. Man verlor jegliches Gefühl für Zeit und Raum, schien stillzustehen, sich aufzulösen, obwohl man sich doch bewegte. Aber das wurde einem irgendwann egal, wie alles egal wurde. Liyas Vater hatte ihr als Kind die Eintönigkeit der Wüste als gefräßiges Tier geschildert, das in der Weite lebte und Seelen fraß. Einziges Mittel gegen dieses Tier, so hatte ihr Vater erklärt, während sie sich zitternd vor Angst an ihre Mutter gedrängt hatte - waren Geschichten. Solange Liya sich unterwegs Geschichten ausdenke, könne das Tier ihr nichts anhaben.
    Geschichten.
    Liya kannte Hunderte. Die Geschichten waren ihr Maß für Zeit und Strecken in der Wüste. Die Strecke zwischen dem morgendlichen Rastplatz und der Felsnadel, die sie eben passiert hatten, zum Beispiel, war genauso lang wie das Märchen vom traurigen Prinzen Goni und dem goldenen Kalmar.
    Ein sehr langes Märchen. Jede Wendung der Geschichte, jeder Höhepunkt, jede Träne des unglücklichen Prinzen entsprach einer Richtungsänderung. Liya brauchte keine Karten, sie hatte Geschichten. Geschichten gegen das gefräßige Seelentier und Geschichten, um den Weg zu finden. Der Weg war nicht einfach schon da - er entstand erst, wenn Liya ihn sich Stück für Stück erzählte.
    Eine grobe Orientierung nach Himmelsrichtungen genügte in der Wüste einfach nicht. Sich nach dem Sonnenstand zu orientieren, ohne sich um ein fatales halbes

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