Panic
Sein Blick wanderte unruhig hin und her, als würde ihn jeden Moment ein Pfeil treffen.
Die frischen Nähte in meinen Wunden schmerzten. Mir dröhnte vor Anstrengung der Schädel. Dennoch rang ich mir die einzige Erklärung ab, die ich finden konnte: »Köder. Er hat sie ausgelegt, um herauszufinden, wo wir uns postiert haben und wo unsere Schwachstellen sind. Das Geschrei der Hasen verleitet uns abzudrücken; auf diese Weise lotet er unsere Standorte und unsere Fähigkeiten aus.«
Cantrell runzelte nachdenklich die Stirn. Da blitzte plötzlich Triumph in seinen Augen. »Dann ist er nach Norden gelaufen, zum nächsten Finger! Auf Griff und auf Nelson zu!«
Cantrell ging wieder los, fand schnell die tiefe Spur, die wir am Morgen von Kurants Standort zu dem von Griff getreten hatten. Ich tat mein Bestes, um mit ihm Schritt zu halten, als er hügelabwärts auf die Senke zuhielt, die die beiden Messerrücken trennte, doch er war voll gepumpt mit Adrenalin und absolut sicher, Ryan einen Schritt voraus zu sein. Als wir unten ankamen, hatte er den Abstand zwischen uns schon auf über hundert Meter vergrößert, war nur noch eine schemenhafte Gestalt im Graupelregen und dann ganz verschwunden.
Der Schmerz in meiner Hand und meinem Unterarm war schlimmer geworden. Vermutlich hatte ich mich weder körperlich noch geistig von den Strapazen in der Höhle und danach erholt. Ich blieb stehen, beugte mich vor und atmete tief durch. Ich griff nach dem Funkgerät, um Griff zu warnen, als mir einfiel, dass ich es im Schnee hatte liegen lassen. Ich Idiot! Cantrells sorgfältig ausgeklügelte Treibjagd drohte in ein Chaos auszuarten, was er doch unbedingt hatte vermeiden wollen.
Ich war nur zwei Schritte in Cantrells Richtung gelaufen, als mir im Augenwinkel eine kleine Information auffiel, der Schatten einer Spur, die nicht in nordwestliche Richtung, auf Griff zu, sondern geradewegs nach Norden führte, in Sheilas Richtung.
»Cantrell!«, schrie ich. »Cantrell!«
Doch der Wind war stärker geworden und mit ihm der erstickende Lärm der prasselnden Körner. Er hätte mich noch nicht einmal in achtzig Metern Entfernung gehört, geschweige denn über die zwei- oder dreihundert Meter, die mittlerweile zwischen uns lagen.
Ich machte kehrt, ein ungutes Gefühl im Magen, das immer größer wurde. Wir hatten uns getäuscht, was Ryan anbelangte. Cantrells Tod allein genügte ihm nicht. Der Pächter sollte dieselbe innere Leere verspüren, die er selbst hatte ertragen müssen, als er Lizzy hatte sterben sehen. Cantrell sollte leiden, bevor er starb.
Da rannte ich los, geradewegs nach Norden, wobei sich mein Laufrhythmus den weit ausholenden, zielgerichteten Schritten anpasste, deren Abdrücke ich im Schnee vor mir fand. Mir liefen Tränen übers Gesicht, und ich stammelte leise: »Tun Sie das nicht, Ryan. Sie kann nichts dafür. Bitte tun Sie’s nicht!«
Als ich endlich die Spitze des dritten Fingers umrundet hatte, hegte ich neue Hoffnung und sagte mir, dass Sheila Ryan ja zuerst sehen würde. Jeden Augenblick rechnete ich mit dem erlösenden Schuss, der den bösen Zauber über diesem Wald brechen würde. Als ich etwa die Hälfte der schmalen Senke zwischen dem dritten und vierten Finger durchquert hatte, löste ich mich aus Ryans Spur und hielt schräg auf Sheilas Hochsitz zu. Wenn Ryan die Taktik beibehielt, mit der er sich an Theresa und Kurant herangeschlichen hatte, würde er Sheilas Stand zunächst umgehen und sich ihr dann aus nördlicher Richtung nähern.
Das würde mir ein wenig Zeit verschaffen.
Der Schnee am Südhang von Sheilas Hügel war tief und fest vor Feuchtigkeit. Während ich mich bergauf kämpfte, hielt ich verzweifelt zwischen den Bäumen nach der Schneise aus Laubbäumen Ausschau, in der wir sie vor Tagesanbruch postiert hatten.
Ich fand sie nicht. Mittlerweile war ich oben angelangt, aber noch immer von dichtem Nadelwald umgeben. Und dann ging mir ein Licht auf: Ich hatte mich um über zwanzig Grad in der Richtung geirrt, befand mich jetzt mindestens zweihundert Meter westlich von Sheila. Ich benutzte die Whelan wie einen Rammbock, mit dem ich im Laufen tote Äste und schneebeladene Zweige beiseite fegte.
Ryan musste mich gehört haben. Denn als ich zwischen den Fichten hervorbrach, war er schon in der Luft, ließ sich aus sieben Metern Höhe, wo wir Sheilas Hochsitz in den Stamm geschraubt hatten, zu Boden fallen. Etwa einen Meter unter dem tragbaren Ansitz hing Sheilas Körper schlaff im Haltegurt
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