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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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und gesprenkelte Hautton der Regenbogenforelle war zu Plastik geworden. Ich berührte ihre Wangen, verblüfft, sie so kalt und feucht vorzufinden, und hielt sie weinend an mich gedrückt, bis mein Vater kam und versuchte, mich von ihr wegzuziehen. Ich stand auf und zischte, so giftig ich nur konnte: »Fass mich nicht an. Fass mich nie wieder an, du kranker, fanatischer Bastard.«
    Ich wusste, was er getan hatte, und hasste ihn dafür, mit jedem Gramm meines Seins.
    Als sie Katherines Leiche fortgeschafft hatten, setzte ich mich in die Schaukel im Gartenpavillon und starrte über den Teich, in dessen Oberfläche sich das frische junge Limonengrün der Birken spiegelte. Ein Detective, dicklich, mit wildem Schnurrbart und Knoblauchatem, kam zu mir herunter und stellte mir Fragen: Wäre meine Mutter im Nachthemd zum Angeln gegangen? Konnte sie gestolpert und ertrunken sein, wie mein Vater behauptet hatte?
    Ich sah hinauf zu meinem Vater, der oben am Haus mit einem zweiten Detective redete. Sogar sein Anblick war mir zuwider. Doch aus mir immer noch unerfindlichen Gründen nickte ich nur und sagte: »Meine Mutter war seit Jahren schwer krank, Detective. Die vergangenen sechs oder sieben Monate wusste sie nur noch selten, was sie tat. Das Einzige, woran sie sich zu erinnern schien, war das Fliegenfischen.«
    Während Nachtwache und Begräbnis wahrte ich den Schein der pflichtbewussten Tochter, lehnte es aber kategorisch ab, mit meinem Vater zu sprechen. Als Katherine unter der Erde lag, ging ich nach Boston. Noch vor der Abschlussfeier an der High School. Mein Vater suchte mehrmals den Kontakt zu mir, aber ich reagierte nicht. Ich begrub meine Vergangenheit, dachte nie mehr darüber nach, was an jenem Morgen passiert sein könnte. Katherine war gestorben, und mit ihr meine Kindheit.
    Doch jetzt, während ich im Schneegestöber zitternd auf dem See stand, konnte ich mich nicht davon abhalten, die Scherben jenes entsetzlichen Tages aufzusammeln und sie mit dem Lehm meiner Phantasie zusammenzukleben, bis ein sinnvolles Gebilde daraus entstand.
    Ende Mai ist eine herrliche Zeit in Maine. Flieder und Holzapfelbäume blühen, streuen ihre reifen Blüten in den Südwind und erfüllen die Luft mit dem süßen Duft der Verheißung. Die Flüsse haben sich beruhigt nach den Fluten von Schmelzwasser; die Welt über Wasser flirrt von den hauchzarten Flügeln der Eintagsfliegen, die bei ihren Paarungstänzen spiralförmig auf und ab schweben, ehe sie sich auf der Wasseroberfläche der hungrigen Forelle opfern. Es war Katherines Lieblingszeit.
    Im Frühling meines letzten Jahres an der High School war sie nur noch ein schwaches Echo ihrer selbst. Ihr Verstand war unter dem gnadenlosen Angriff der Krankheit so steif geworden, dass sie Mühe hatte, sich zu artikulieren; ihre Gedanken waren wie Puzzleteilchen, die jemand mutwillig vom Spieltisch gefegt hatte.
    An ihrem letzten Morgen saß sie in einem Korbsessel am Fenster ihres Schlafzimmers und sah hinunter auf den Pavillon und den Fischteich, auf dessen Grund die ersten Nymphen aus den Eiern geschlüpft waren. Das taunasse Gras glitzerte in der warmen Morgensonne. Mein Vater hatte schon nach Katherine gesehen. Ihre Haare waren gebürstet und ihr Gesicht sorgfältig geschminkt. Sie summte ein altes Lied, und ihre Finger spielten mit dem Saum ihres weißen Baumwollnachthemds.
    »Ein unvergesslicher Morgen, nicht wahr, Little Crow?«, fragte sie, als ich ihr das Frühstück brachte.
    Ich lächelte. Wenn sie mich Little Crow nannte, war ihr Verstand ziemlich klar.
    »Die Bachforellen kommen an die Oberfläche«, sagte ich.
    »Ich hab die kleinen Wellen gesehen«, stimmte sie mir versonnen zu. »Der alte Dickwanst in der Nähe der Quelle, der hat sich vor ein paar Minuten an der Oberfläche gewälzt und mit dem Schwanz geschlagen.«
    »Wann hast du ihn eigentlich das letzte Mal gefangen?«, fragte ich. Gespräche über das Angeln hielten sie normalerweise in der Spur.
    Sie zuckte mit den Schultern und lächelte und zog die Finger in einem trägen Bogen durch die Luft. »Das weiß ich nicht mehr. Ist es wichtig?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    Katherine hörte auf zu reden und trank den Orangensaft, den ich ihr gebracht hatte. Dann biss sie zerstreut in ihren geliebten Roggentoast mit Honig. Ich sah ihr schweigend zu und fragte mich wohl zum tausendsten Mal in diesem Frühling, wie ein Mensch bei aller geistigen Verwüstung so ätherisch schön bleiben konnte.
    »Ich muss jetzt zur Schule,

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