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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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aus Nylon, den sie sich auf Cantrells beharrlichen Wunsch hin um die Taille geschnallt hatte. Ein Zedernpfeil ragte ihr aus der Brust.
    Ich sank auf ein Knie, als Ryan landete, riss mein Gewehr hoch und nahm seine Brust ins Visier, während er sich aufrappelte. In einer Hand hielt er den Bogen, in der anderen ein Messer. Er hatte wohl versucht, sie vom Baum zu schneiden, als ich plötzlich auftauchte.
    Ryan hob den Kopf und sah mich unverwandt an; dem Wiedererkennen folgte Verwunderung, die wiederum einem konzentrierten, durchbohrenden Starren wich. Und in diesem Augenblick, im selben Augenblick, in dem ich den Auslöser hätte drücken sollen, setzte mein Herz aus, und ich war wieder mit ihm in der Höhle, überwältigt von seiner Trauer und den primitiven Gesängen und dem halluzinogenen Rauch. Ich sah Lizzy Ryan sterben, sah meine Mutter an ihrem letzten Tag mit dem Saum ihres Nachthemds spielen. Beide Bilder verschmolzen zu einem wechselnden Kaleidoskop aus sich brechenden und reflektierenden Bildern: meine Mutter, wie sie vor der Laube tot im Gras lag, Lizzy, wie sie nasse Wäsche aus einem Weidenkorb zog.
    »Nein!«, rief ich aus, als mir bewusst wurde, dass Ryan seine Macht über mich benutzt hatte, damit ich kurz stutzte. Mehr war auch gar nicht nötig. Ryan tauchte seitwärts ab und verschwand hinter einer Böschung, während ich die Waffe in seine Richtung schwenkte, feuerte, durchlud und nochmals feuerte.
     
    »Ich hab ihn verfehlt, Griff«, sagte ich benommen. »Ich hatte ihn schon klar im Visier und hab trotzdem vorbeigeschossen … zweimal!«
    Griff hatte die Arme um mich gelegt. Cantrell kniete unter der Leiche seiner Frau, die im böigen Wind schaukelte wie eine Wetterfahne. Er hatte keinen Laut von sich gegeben, seit er die Lichtung betreten hatte. Er war mit leerem Blick auf die Knie gesunken und hatte mit der Resignation der Verlorenen zu Sheila hinaufgestarrt. Phil kletterte den Stamm hinauf, um sie abzuseilen. Arnie half ihm dabei. Kurant stand am Rand der Lichtung. Nachdem er sich übergeben hatte, zückte er seine Kamera und machte Fotos. Theresa blieb ebenfalls am Rand der Lichtung. Als könnte zu große Nähe sie für Sheilas Schicksal empfänglich machen. Sie wandte uns den Rücken zu und klammerte sich an Nelson.
    »Sie war schon tot, als Sie sie gefunden haben«, beruhigte mich Griff. »Sie hätten nichts mehr für sie tun können.«
    Ich wand mich aus seinen Armen, sah durch den Schleier meiner Tränen hindurch nur einen verschwommenen, weißhaarigen Mann. »Ich komm immer zu spät! Ist doch so, oder nicht?«
    »Ich weiß es nicht, Little Crow«, sagte Griff verwirrt. »Ist es so?«
    »Das wissen Sie ganz genau!«, weinte ich. Er wollte mich trösten, aber ich holte heftig aus, als wollte ich auf ihn und auf Sheila und auf alles einschlagen, was an mir nagte. Meine Schultern wurden schwer, und ich hätte mich am liebsten in den Schnee gelegt und für immer geschlafen. Doch noch stärker war mein Bedürfnis, Cantrell zu erklären, warum ich seine Frau nicht hatte retten können.
    Ich kniete mich neben den Pächter. Phil ließ Sheilas Leiche langsam nach unten. Arnie streckte die Hände nach ihr aus. Cantrell starrte noch immer blind nach oben.
    »Mike, ich … ich hab versucht, sie zu erreichen, aber ich hab mich verlaufen.«
    Er gab durch nichts zu verstehen, dass er mich gehört hatte, und ich wiederholte meine Worte.
    Er drehte mir das Gesicht zu, sah durch mich hindurch und sagte mit erschreckend dumpfer Stimme: »Verlaufen? Genau wie ich, seit ich geholfen hab, Lizzy Ryan zu töten. Der einzige Grund, der mich davon abgehalten hat, Schluss zu machen, war Sheila. Jetzt ist sie tot, damit hab ich alles verloren. Alles.«
    Arnie hatte den Sicherheitsgurt über Sheilas Taille gepackt. Griff wartete unten, mit ausgestreckten Armen. Phil kappte das Seil, das sie hielt, und sie sackte Griff in die Arme, der sie behutsam in den Schnee gleiten ließ. Cantrell ging zu ihr, zog die Handschuhe aus und wischte ihr den Schnee von den Wangen. Was von ihm noch übrig war, verschwand in dieser schlichten Geste.
     
    Wir brauchten fast drei Stunden, um Sheilas Leiche zum Blockhaus zu schaffen. Ich wünschte, ich könnte sagen, was mir unterwegs durch den Kopf ging, aber ich weiß nur noch, dass wir durch eine endlose Dunkelheit zu stapfen schienen, weil es nichts mehr zu tun gab. Wir wollten Sheila ins Kühlhaus legen, zu den anderen, aber Cantrell trug sie in die Hütte, die er mit ihr geteilt hatte,

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