Panic
mir glatt hundertsiebenundsiebzig Punkte eingebracht.«
Phil am anderen Ende des Tisches pfiff beifällig durch die Zähne. »Tolle Leistung! In Texas?«
Lenore nickte. »Auf der King Ranch. Eins dieser Riesenviecher, bei den Einheimischen heißen die
Muy Grande
.«
»Eins siebenundsiebzig, damit sind Sie im Buch, nicht?«, fragte Kurant und schrieb alles auf.
»Schon das zweite Mal«, antwortete sie fröhlich. Sie tätschelte den Arm ihres Mannes. Seine Aufmerksamkeit galt dem Porzellanteller, auf dem das Dinner serviert worden war. »Fairerweise muss ich sagen, dass Earl dem Rekord ziemlich nah gekommen ist. Einhundertachtundsechzig vor drei Jahren. Einhundertneunundsechzigeinhalb voriges Jahr in Kansas. Aber die letzte Hürde packt er einfach nicht.«
Lenore machte eine wirkungsvolle Pause. »Wissen Sie, ich hab gleich das allererste Mal, als ich mit ihm jagen ging, einen Rekordbock geschossen. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum Earl mich so liebt.«
»Scheißglück!« Der kleine Geschäftsmann kochte vor Wut.
»Na na, Schatz, ich bin eben ein Naturkind.«
»Tja, das ist wahr, du bist ja auch in der Pampa groß geworden. Lasst euch von den Diamantklunkern nicht täuschen, Leute. Unsere Lenore hier hat ihr Leben lang in ein Plumpsklo gekackt, bevor sie mich traf. Wäre meine Wenigkeit nicht gewesen, wäre sie noch immer in der Hinterwäldler-Klitsche, in der ich sie aufgegabelt hab, und würde Biergläser stemmen. Sie redet auch nur deshalb so gespreizt daher, weil ihr die letzten zwei Jahre einer dieser Sprachlehrer geholfen hat, ihren Akzent auszumerzen.«
Lenore brachte ein säuerliches Lächeln zustande. »Du erzählst vielleicht ’nen Stuss, kleiner Mann.«
»Nur wenn du mir einen deiner Hundert-Dollar-Fingernägel in den Rücken rammst, Süße«, erwiderte Earl.
Das peinliche Schweigen, das auf die Streiterei der beiden folgte, wurde schließlich von Theresa unterbrochen, die Apfelkuchen und Vanilleeis servierte.
Kurant klopfte mit dem Stift auf sein Notizbuch. »Warum seid ihr nur alle so versessen auf große Geweihe?«
Phil am anderen Ende des Tisches sagte: »Je besser man wird, desto größer soll doch die Herausforderung sein.«
»Sind Hirsche mit großen Geweihen denn schwieriger zu jagen?«
Patterson lachte und sagte zu Cantrell: »Du hattest Recht, der Bursche hat echt keine Ahnung, wie?«
»Na, dann weihen Sie mich ein«, sagte Kurant.
Patterson sagte: »Hat ein Weißwedel mal drei Jahre überlebt, gehört er quasi zu einer anderen Spezies. Die älteren Hirsche haben eine Art sechsten Sinn. Die sehen dich aus hundert Metern Entfernung blinzeln, hören aus zweihundert Metern, wie du dich am Hintern kratzt, und riechen dich auf vierhundert Meter. Sie kennen jeden Zentimeter ihres Reviers, sehen die kleinste Veränderung, sie sind nämlich die schlauesten Hirsche in ganz Nordamerika. Einen kapitalen Weißwedelhirsch zu erwischen, ist ’ne große Sache.«
»Aber auch traurig«, bemerkte Arnie. »Ich hab hinterher immer ein schlechtes Gewissen. Nicht nur bei den großen, bei jedem einzelnen.«
»Und Sie tun es trotzdem?«
Arnie zuckte die Schultern. »Kann’s mir auch nicht erklären, aber es stimmt, ich muss einfach jagen.«
»Geht es euch allen so wie Arnie?«, fragte Kurant.
»Nee, Kleiner«, sagte Earl. »Wenn ich ’nen großen Bock geschossen hab, wein ich bestimmt nicht. Ich fühl mich wie … na ja, ist wahrscheinlich nicht politisch korrekt, was ich da sage … aber ich fühl mich wie ein Eroberer.«
»Ja«, stimmte Phil zu, »einer, der den Gegner in dessen Land besiegt.«
»Kann ich nicht finden«, sagte Butch. »Es gehört doch viel Glück dazu, so ein Tier zu erwischen. Der Hirsch muss einen Fehler machen. Deshalb geht’s mir wie Arnie. Ich bin froh und traurig zugleich, wenn ich einen Hirsch erlegt habe.«
»Warum fotografieren Sie ihn dann nicht stattdessen?«, fragte Kurant.
»Dann ist es keine Jagd mehr, Schatz«, sagte Lenore. »Dann ist es Fotografieren. Wer jagt, muss töten.«
»Was meinen Sie dazu, Griff?«, fragte Kurant.
Griff rieb sich die Haut unter dem linken Auge. »Für mich geht es nicht ums Können. Ich geh gern in den Wald. Ob ich etwas schieße, ist mir egal. Mir geht es um die Jagd selbst, um die Möglichkeit, mich in eines von Gottes großartigen Geschöpfen hineinzufühlen. Der Weg ist mir heiliger als das Ziel. Das Jagen selbst bedeutet mir mehr als die Beute, die ich eventuell nach Hause bringe.«
»Und trotzdem sind Sie auf
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