Panic
nie zuvor empfunden hatte. Sie saß mir stetig, unnachgiebig und beharrlich im Nacken und legte sich auf meine Brust, bis ich das Gefühl hatte, nicht mehr atmen zu können. Ich fühlte mich umzingelt, ausgeliefert, wäre am liebsten davongerannt, auf einen Baum geklettert, in ein Loch gekrochen. Ich wollte mich in den Schnee eingraben, wollte schießen, nachladen und wieder schießen. Auf alles, was sich bewegte. Und auf alles, was sich nicht bewegte.
Zum ersten Mal wusste ich, wie es war, gejagt zu werden.
Ich war wie vom Donner gerührt, bemerkte nur am Rande, wie die zwei Böcke die Wedel aufstellten und schnaubend das Weite suchten. Ich senkte die Waffe, lehnte mich gegen den Baumstamm und glitt die Rinde entlang nach unten, bis ich im grauschattigen Schnee saß. Ich starrte auf die silbernen Bäume vor mir, als wären sie Teil eines Traums und könnten mir etwas verraten. Was sie natürlich auch konnten.
»Der Traum und die Jagd öffnen Fenster in andere Welten«, pflegten Mitchell und mein Vater zu sagen.
Ich war die Letzte in unserer Linie, daher schien es vom Schicksal vorherbestimmt zu sein, dass ich lernte, wie man jagt.
Die Unterweisung begann kurz nach meinem achten Geburtstag mit einer Reihe von Übungen, die Mitchell und mein Vater als »Einweihung in den Schlamm« bezeichneten. Beide nahmen mich alle paar Tage mit in den Wald hinter unserem Haus. Wir schafften das Laub beiseite, gossen Wasser auf die Erde und kehrten tags darauf zurück, um die Spuren zu prüfen, die sich in den Schlamm gedrückt hatten. Von nun an sahen wir regelmäßig nach, wie sie sich unter dem Einfluss von Zeit, Wetter und Natur veränderten. Es dauerte nicht lange, und ich vermochte auf einen Blick das Alter von Spuren zu erkennen.
»Alles steht in Verbindung zueinander«, pflegten meine Lehrer mir zu sagen. »Was hier draußen geschieht, lässt sich mit einer vibrierenden Gitarrensaite vergleichen. Je kleiner das Tier, desto mehr wird es von mächtigen Vibrationen beeinträchtigt. Beobachte die kleinen Tiere; und sie sagen dir, was im Wald vor sich geht.«
Einmal ging Mitchell mit mir nach der Schule in ein Sumpfgebiet und sagte, ich solle den Waldrand im Auge behalten, der an ein Moor grenzte. Wo zwei so unterschiedliche Umgebungen aneinander stoßen, sagte er, zeige sich das Wirken der Großen Kraft am deutlichsten. Er setzte mich hinter zwei Stämme und ließ mich allein. Bei Einbruch der Dunkelheit werde er zurückkommen, versprach er mir. Stundenlang lag ich auf der Lauer, versuchte zu verstehen, wovon er gesprochen hatte. Ich sah Streifenhörnchen und Eichhörnchen und Singvögel, aber sie schienen sich um ihre eigenen Belange zu kümmern. Es fing an zu tröpfeln und wurde allmählich dunkel. Ich wartete auf Mitchell, doch als er nicht auftauchte, wurde mir unheimlich. Eine Schar Meisen schwirrte ins Geäst der Kiefern am Rand des Moors, und plötzlich wusste ich, dass etwas Großes sie aufgeschreckt hatte. Ich hatte mit einem Hirsch gerechnet, aber nicht mit dem Bären, der ins Dämmerlicht heraustrat. Er kletterte auf einen umgestürzten Stamm und nahm schnuppernd die Witterung auf. Vielleicht war es nur meine Einbildung, aber der Bär schien im Nieselregen elektrische Impulse auszusenden, bis sie mich umhüllten, mein Blick teleskopisch wurde und ich am Ende eines glühenden Tunnels nur noch den Bären sah.
»Was für ein Fettwanst«, flüsterte Mitchell mir ins Ohr; der Tunnel stürzte ein und ich hätte beinah aufgeschrien. Doch Mitchell hielt mir den Mund zu, bevor der Schrei das Tier erschrecken konnte. Er umarmte mich, und wir sahen zu, wie der Bär nach Insekten grub, bis die Dunkelheit hereinbrach und wir ihn nur noch hören konnten. Als das Tier verschwunden war, machten wir uns auf den Heimweg. Ich hielt seine Hand und sah seine Zigarette aufglühen. Wenn er sie zum Mund führte, zeichnete sie rot glühende Linien in die Dunkelheit. Dass der Bär zu mir gekommen war, sagte er, sei ein gutes Zeichen. Ich hätte das Potenzial für tierische Verbündete, wäre empfindsam genug, um eine
Puoin
, eine Schamanin, zu werden. Wie ich auf diese Neuigkeit reagierte, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Ich war erst acht und wusste nicht, was es damit auf sich hatte. Aber auf jeden Fall war ich stolz, dass Mitchell an mich, ein kleines Mädchen, glaubte.
Traurigerweise war die Begegnung mit dem Bären sein letztes Geschenk an mich. Er hatte von Jugend an täglich drei Schachteln Zigaretten geraucht, und das
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