Panik: Thriller (German Edition)
den Mund, um den nächsten Schrei loszulassen. Sein grelles Leuchten schmerzte in ihren Augen. Dann stieß er sich so schnell vom Boden ab, dass er gegen die Decke prallte. Eine Deckenleiste löste sich und landete neben Rilke auf dem Boden. Sie schien es gar nicht zu bemerken, sondern konzentrierte sich ganz auf ihren Bruder, der mit den Füßen voran an der Decke klebte, als hätte sich die Schwerkraft plötzlich umgedreht.
Als er aus Daisys Blickfeld glitt, trat sie einen Schritt vor. Ihre Angst war so allumfassend, dass sie sie kaum noch spürte. Hand in Hand gingen Daisy und Cal durch die Tür. Sie mussten herausfinden, was dieses Ding war.
Schiller rollte an der Decke des Restaurants hin und her, als wollte er die Flammen ersticken, die auf seiner Haut brannten. Das Feuer gab keine Hitze ab und breitete sich auch nicht aus– im Gegenteil: alles, was mit ihm in Berührung kam, war mit einer funkelnden Eisschicht bedeckt. Es saugte alle Wärme auf, verschlang Hitze und Licht. Er schrie wieder, warf sich von links nach rechts und stieß gegen die Wand.
Nun erkannte Daisy, dass Rilkes Bruder nicht die einzige Gestalt in den Flammen war. Da war noch etwas anderes. Es war kaum zu erkennen, aber zweifellos da. Unmöglich, aber trotzdem vorhanden. Es löste sich von Schillers hängenden Schultern, faltete sich elegant auf, bis es länger als der Körper des Jungen war. Dann bewegte es sich so rasch, dass der Schutt auf dem Boden aufgewirbelt und Schiller durch den Raum geschleudert wurde. Schiller schrie wieder. Der Schrei verstummte plötzlich, als er gegen die Wand prallte. Dort hing er wie ein Kletterer, während das Gebilde auf seinem Rücken hektisch auf und ab flatterte.
Ein Flügel. Ein einzelner, brennender, wunderschöner, schrecklicher Flügel.
» Seht ihr es denn nicht?«, rief Rilke und schaute sie wieder an.
Die Flammen flackerten auf und verloschen. Schiller fiel zu Boden. Jammernd kroch er auf seine Schwester zu, dann wurde er erneut von den Flammen verschlungen. Der Schwanenflügel, der aus seinem Rücken ragte, katapultierte ihn in die Luft. Rilke beobachtete ihn. Ihr Lachen klang wie zersplitterndes Glas.
» Es ist doch offensichtlich, was wir sind«, fuhr sie fort. » Was wir werden. Wozu man uns auserwählt hat.«
Niemand antwortete. Wie auch? Schiller flog zum Fenster und riss an den Holzbrettern. Das Sonnenlicht, das in den Raum fiel, hatte hier keine Macht und beugte sich der lebenden Flamme. Der einsame Flügel ließ ihn zur Decke schweben. Mit derselben Wucht krachte er wieder auf den Boden. Daisy fragte sich, wie er diese Tortur überleben konnte. Doch obwohl seine Miene schmerzverzerrt und verwirrt war, versuchte er erneut, zum Fenster zu gelangen.
» Ihr müsst euch entscheiden«, sagte Rilke. » Nehmt euer Geschenk an oder lasst es bleiben.«
Sie stand auf, taumelte zur Tür und streckte die Hände aus. Die Waffe war nirgendwo zu sehen. Trotzdem wusste Daisy, dass sie gefährlich war. So gefährlich wie nie zuvor. Ihr Bruder jammerte hinter ihr, wurde von den Flammen verschlungen.
» Wir verändern uns«, sagte Rilke. » Wir sind auserwählt. Seht doch, was aus Schiller wird. Wir alle werden so wie er. Daisy, verstehst du nicht?«
Daisy verstand. Mit einem Mal wurde ihr alles klar. Marcus hatte recht gehabt und gleichzeitig völlig danebengelegen. Sie sah zu Cal hinüber und spürte, wie der letzte Rest Wärme aus ihr wich, als würde man eine Kerze ausblasen. Rilke sagte die Wahrheit– sie alle würden sich verändern.
» Es sind nicht die Irren, die besessen sind«, sagte Daisy und taumelte zurück. Sie wollte weinen, wusste aber nicht wie. Cal griff nach ihr, doch sie wich ihm aus und ging auf die Treppe zu. » Sie haben keine Dämonen in sich.«
Bis auf Schiller starrten sie alle an, warteten darauf, dass sie den Satz beendete, dass sie aussprach, was sie alle bereits wussten.
» Sondern wir.«
Brick
Furyville, 16 : 19 Uhr
Brick konnte den Blick nicht von Rilkes brennendem Bruder abwenden.
Endlich hatte der Junge aufgehört zu schreien. Flammen schossen aus jeder Pore seines Körpers. Er lag auf dem Boden und hatte ihnen den Kopf zugewandt. Selbst seine Augen loderten, glühten unglaublich hell. Wenn er noch länger in diese Augen starrte, würde er den Verstand verlieren, genau wie man blind wurde, wenn man zu lange in die Sonne blickte. Das waren nicht Schillers Augen, sie gehörten einer anderen Kreatur– einer Kreatur, die Brick nur schattenhaft in den
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