Panik: Thriller (German Edition)
instinktives Gefühl, das sich langsam seinen Weg nach oben bahnte. Wir sind auserwählt, aber nicht dafür. Sondern für etwas anderes.
» Du liegst falsch«, sagte er. Seine Stimme klang gedämpft und weit entfernt wie eine undeutliche Aufnahme seiner eigenen Stimme. » Das ist nicht unsere Aufgabe.«
» Ist es doch«, zischte sie. » Wenn du es nicht verstehst, bist du nicht besser als alle andern. Wenn du das nicht begreifen willst, wirst du mit ihnen sterben.«
Schiller schrie. Die Flammen erstickten mit dem Heulen einer versagenden Jetturbine. Er brach zusammen, seine zweite Haut flackerte auf und erlosch wieder. Nur seine Augen loderten noch so wild wie zuvor.
» Wir sind ein Wunder«, sagte Rilke. » Was in uns lebt, ist heilig. Es ist richtig. Diejenigen unter euch, die es annehmen, werden gerettet. Die Blinden aber, die zu ängstlich sind, um es zu verstehen, werden zugrunde gehen. Ihr müsst eine Entscheidung treffen. Und zwar jetzt, bevor es zu spät ist.«
» Aber was ist denn in uns?«, fragte Jade und ging einen Schritt auf Rilke zu. Blut tropfte aus ihrer Nase. Ihre großen Augen wirkten unschuldig und vertrauensselig.
» Jade«, sagte Cal. » Rilke, lass sie in Ruhe.«
» Ich will es wissen«, sagte Jade. » Du nicht? Ist das nicht…« Sie deutete auf das Restaurant, fand aber keine Worte, um zu beschreiben, was sie sah. » Ist das nicht Beweis genug?«
Cal wischte sich mit der Hand blutrote Tränen aus dem Gesicht.
» Was ist da in uns?«, fragte Jade noch einmal.
» Das wisst ihr bereits«, sagte Rilke. » Ihr alle.«
Jade lächelte, als wäre sie hypnotisiert. Sie sah erst Cal, dann Chris und schließlich Brick an. Brick hatte das Gefühl, als könnte er direkt in ihren Kopf sehen, die kümmerlichen Überreste ihres Verstandes betrachten. Jade betrat das Restaurant und ging in der Mitte des Raumes in die Knie.
» Los«, rief Cal. Er packte Adam beim Arm und zerrte ihn zur Treppe. » Hauen wir ab.«
Brick bewegte sich nicht. Er wollte nichts mehr, als nach draußen zu laufen, diesen Wahnsinn hinter sich zu lassen– hätte nicht Rilkes Stimme noch in seinem Kopf widergehallt, so völlig falsch und doch völlig überzeugend. Er sah den in Flammen gebadeten Schiller an. War das auch sein Schicksal, wenn er blieb? Konnte er eine solche Gabe tatsächlich ausschlagen?
» Letzte Chance, Cal«, rief ihm Rilke die Treppe hinunter nach.
» Leck mich, Rilke«, schrie er zurück. » Fahr zur Hölle.«
Chris taumelte ihm hinterher, Marcus blieb stehen. Er sah ebenso verzückt und hypnotisiert wie Jade aus.
» Letzte Chance, Harry«, sagte Rilke zu Brick. Als er seinen wirklichen Namen hörte, stieg eine ätzende Euphorie in seiner Kehle auf. Fast hätte er sich an Ort und Stelle vor Schiller auf die Knie geworfen. » Hör auf ihren Ruf. Entscheide dich.«
Er ging einen Schritt auf sie zu. Auch Marcus bewegte sich, lachte leise in sich hinein, als er das Restaurant betrat und vor Schiller niederkniete.
» Ihr wisst, was sie sind«, sagte Rilke. » Wie könnt ihr euch da verweigern?«
Brick öffnete den Mund und stieß einen heiseren, verzweifelten Schrei aus– ein Laut, der nicht von ihm, sondern von dem Ding in ihm zu stammen schien. Dann drehte er sich um, stolperte, fiel hin und kroch rückwärts auf die Treppe zu. Als er die ersten Stufen hinter sich gebracht hatte, erholte er sich allmählich. Langsam kroch er die Treppe hinunter, ohne Rilke aus den Augen zu lassen. Sie schüttelte den Kopf und sah unendlich traurig aus.
» Wie konntest du dich verweigern?«, fragte sie und schloss die Tür des Restaurants. Er drehte sich um und rannte los, stürzte durch das Foyer und den Flur hinunter, zwängte sich so eilig durch den Notausgang, dass er sich ein Haarbüschel an der Kette ausriss.
Er fiel in den Staub. Trotz der grellen Sonne zitterte er am ganzen Körper. Die Wahrheit brannte wie ein Leuchtfeuer in seinem Verstand, das Ding in ihm glühte vor Hitze und schrie so laut, dass er es nicht überhören konnte.
Nein, es war kein Ding. Auch kein Geist, kein Dämon.
Es war ein Engel.
Cal
Furyville, 16 : 42 Uhr
Cal holte Daisy am Karussell ein, rief nach ihr, bis sie stehen blieb. Als sie sich zu ihm umdrehte, war es, als würde sie ihn nicht sehen, als hätte der brennende Junge sie geblendet.
» Daisy«, sagte er, rannte zu ihr und nahm sie in die Arme.
Sie blinzelte, bis sie ihn deutlich vor Augen hatte. Er hielt sie ganz fest und wusste nicht, was er sagen sollte.
Eine Weile
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