Panik: Thriller (German Edition)
das Lächeln von seinem Gesicht wie Wasser von einem Regenmantel. Seine Zähne schlugen aufeinander.
» Wir wollen nur kuscheln«, sagte ihre Mum.
» Dich drücken«, fügte ihr Dad hinzu.
Sie bewegten sich gleichzeitig, ihre Körper rutschten herum, ihre Arme hoben sich– viel zu lange, viel zu dünne Arme. Ihre Mum legte beide Hände um ihre Schultern, zog sie zu sich, berührte mit den Lippen Daisys Haar. Ihr Dad umarmte sie beide, drückte seine Brust an Daisys Rücken. Sie atmeten im selben Moment ein und aus, und als sie Luft holten, spürte Daisy, wie ihre Knochen knackten, während der Abstand zwischen ihnen immer geringer wurde. Sie wollte die Arme bewegen, um sie ebenfalls zu umarmen, aber sie hatte nicht genug Platz.
» Wir lieben dich, Daisy«, sagte ihre Mum. » Was auch passiert, vergiss das nicht.«
Daisy konnte noch nicht mal den Kopf herumdrehen, um ihre Mum anzusehen, so heftig küsste diese ihre Stirn. Wie Hagelkörner prasselten die Küsse auf sie ein, was die Kopfschmerzen noch schlimmer machte.
» Was meinst du?«, fragte sie. » Was soll denn passieren?«
Ihre Eltern antworteten nicht, sondern umarmten sie nur noch fester, umklammerten sie wie eine Schlange ihre Beute. Der Geruch wurde stärker, und langsam breitete sich ein Angstgefühl in Daisys Magen aus. Wieder hörte sie die Stimme in ihrem Kopf: Sie sind nicht die, für die du sie hältst. Das ist der Wolf, und er trägt das Kostüm deiner Eltern wie ein Nachthemd. Das war so eine lächerliche, erschreckende Vorstellung, dass sie nicht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte.
» Was soll denn passieren?«, fragte sie noch mal. » Ich will nicht, dass euch was passiert.«
» Alles wird gut«, sagte ihre Mum. Ihre Stimme wurde durch Daisys Haar gedämpft. » Wir lieben dich so sehr. Dir wird nichts geschehen. Wir werden dir nichts antun.«
Antun? Was sollte das denn heißen? Sie fing an zu zappeln und war kurz vor einer Panikattacke. Sie ließen sie nicht los. Ihre Umarmungen waren so fest, dass sie ihr den Hals verdrehten.
» Mum, das tut weh.«
Sie sah, wie ihre Beine auf dem Bett strampelten, die Bettdecke zu einem zerknüllten Haufen zusammenschoben. Der Gestank nach alten Leuten hatte sich wie eine feste Masse auf ihren Mund gelegt.
» Mum!«
Langsam wurde ihre Umarmung schwächer. Dads Arme erschlafften, und er rollte sich auf den Rücken. Mum nahm die Handgelenke auseinander, sodass Daisy sich aufrichten konnte. Sie massierte ihren Nacken, sah ihre Eltern an und konnte die Tränen nur mit Mühe zurückhalten. Ihre Mum lächelte sie an, mit kühlen Fingern strich sie Daisy eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Augen waren dunkel, und doch blitzten diese Funken darin auf. Sie sah glücklich aus, aber auch sehr weit weg. Sie strich mit der Hand über Daisys Wange, streichelte ihr zärtlich den Kopf.
» Was auch passiert, was auch passiert, vergiss nicht: Wir lieben dich. Vergiss das nicht. Wir lieben dich so sehr, Daisy.«
» Ich liebe euch auch«, sagte Daisy und umarmte ihre Mutter so fest, wie sie sie auch umarmt hatte, so fest, dass bunte Lichtpunkte vor ihren Augen tanzten. » Ich liebe euch mehr als alles andere.«
Ihre Mutter holte Luft, es war fast ein Schniefen, und Daisy spürte, wie sich ihr Körper versteifte. Sie ließ sie los– hatte sie ihr wehgetan?
» Du kommst zu spät zur Schule«, sagte sie. Jegliche Wärme war aus ihrer Stimme verschwunden. Sie sah wieder geradeaus nach vorne und hatte die Arme an die Seiten gelegt. » Du musst los.«
» Aber Mum, ich will euch nicht…«
» Geh!« Das Wort schoss aus dem Mund ihrer Mutter wie eine Pistolenkugel.
Daisy krabbelte von der Decke herunter. Ihr war, als würde ihre Brust gleich explodieren. Einen Augenblick lang stand sie vor dem Bett und betrachtete die dunklen Hügel darauf, dann verschwand sie durch die Schlafzimmertür.
» Wir sehen uns bald wieder«, rief ihr Mum hinterher. Ihre Stimme klang so flach wie eine Tonbandaufzeichnung.
Daisy ahnte, dass das eine Lüge war. Irgendwo tief in ihrem Inneren, so tief, dass es ihr selbst nicht bewusst war, schlummerte die Gewissheit, dass sie sie nie wiedersehen würde.
Brick
Fursville, 11 : 55 Uhr
Brick saß auf den Holzstufen, die zur Wildwasserbahn von Fursville führten, und zitterte so stark, dass seine Ellbogen immer wieder von seinen Knien rutschten. Nach dem Vorfall an der Tankstelle– sie wollten mich umbringen, sie alle wollten mich töten – war er schnurstracks hierher
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