Panik: Thriller (German Edition)
Entführung oder so. Trotzdem– Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Er schickte die Nachricht ab und tippte eine weitere in das Eingabefeld.
Rick_B: Viel Glück.
Brick schloss die Augen und ließ den Kopf sinken. Er war erschöpft. Kein Wunder, nach allem, was er durchgemacht hatte. Schlafen wollte er aber auch nicht. Wenn er jetzt einschlief, würde er in der Nacht aufwachen, und dann war er ganz allein mit seinen Albträumen.
Er loggte sich wieder bei Yahoo ein. Sollte er die ursprüngliche Frage zurückziehen, zumindest so lange, bis er diesen Typen getroffen hatte? Er klickte darauf, ließ den Mauszeiger über den » Frage löschen«-Button gleiten, hatte den Daumen schon auf dem Knopf des Touchpads– und hätte es um Haaresbreite übersehen.
Er scrollte die Seite hinunter. Mit großen Augen und klopfendem Herzen las er:
Auf Ihre Frage gibt es momentan 8 Antworten.
Cal
Oakminster, 17 : 05 Uhr
Cal saß am Steuer des Freelander-Cabrios seiner Mutter. Der Motor schnurrte, als er aus der rechten Garage fuhr. Er legte den Leerlauf ein, damit er den Fuß von der Kupplung nehmen konnte. Sein Fuß zuckte nervös und ungeduldig, als Cal das Gartentor beobachtete. Zu seiner Linken stand das Auto, das er bei seiner Flucht benutzt hatte. Das Blut an den Seiten und auf der zerschmetterten Windschutzscheibe war zu adernähnlichen Streifen geronnen, das Dach eingedellt wie eine Obstschüssel.
Seine Tasche lag auf der Rückbank des Allradfahrzeugs, daneben drei Umhängetaschen voll mit Chips, Süßigkeiten und Getränken. Wenn er Glück hatte, würde er die gar nicht brauchen. Wenn er Glück hatte, würde seine Mum durchs Gartentor spazieren, ihn am Steuer sitzen sehen und stinksauer werden– sauer, aber nicht wahnsinnig. Er rutschte auf dem Sitz herum. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Seine rechte Hand hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass er es wahrscheinlich gar nicht hätte loslassen können, selbst wenn er gewollt hätte. Die Linke lag nur allzu verräterisch auf dem Schaltknüppel– wenn es sein musste, konnte er in Windeseile Gas geben und verschwinden.
Cal wusste nicht so recht, was er tun sollte, wenn es hart auf hart kam. Dieser Typ, mit dem er gechattet hatte, Rick_B, war ziemlich seltsam. Nach den paar Sätzen, die er mit ihm gewechselt hatte, hatte Cal kein gutes Gefühl. Wer zum Teufel schlug denn ausgerechnet ein altes Klo in einem verlassenen Dorf als Treffpunkt vor? Andererseits– die Nachricht hatte ziemlich echt geklungen.
Was blieb ihm auch anderes übrig? Er konnte ja schlecht nach Westen in die bevölkerungsreichste Stadt Europas fahren. Im Osten waren das Southend und der Hafen, wo rund um die Uhr Hochbetrieb herrschte. Im Süden waren die endlosen Zubringer zum Dartford Tunnel. Natürlich gab es da auch ein paar ruhige Ecken, endlose Felder und den Nationalpark. Dort konnte er sich im Wald verstecken. Und dann? Bis zum Ende seiner Tage wie Robinson Crusoe hausen? Wenn er nach Norden fuhr, konnte er zumindest London gegen das viel weniger dicht besiedelte Ostengland eintauschen.
Jemand ging an der Mülltonne vor dem Gartentor vorbei, und Cal zuckte zusammen. Sein nervöser rechter Fuß drückte aufs Gas. Es war ein alter Mann, der eine Einkaufstasche trug, die fast so groß wie er selbst war. Das Sonnenlicht glitzerte auf seiner Brille. Er sah nicht zu Cal hinüber. Gegenüber lud eine Nachbarin etwas in ihr Auto. Das Schlagen der Autotür und ihre Schritte auf dem Kies waren in der Hitze viel zu laut.
Cal duckte sich in den Ledersitz und zog den Kopf ein. Er schaltete das Radio ein, um seine Nerven zu beruhigen, wechselte ungeduldig die Stationen, bis er einen Song von Kiss fand, bei dem er am liebsten Vollgas gegeben und so schnell wie möglich abgehauen wäre.
Ein Knall. Cal hob schnell den Kopf und sah, dass der Mülltonnendeckel geöffnet war. Er knallte wieder zu, und dahinter erschien seine Mum. Sie packte den Griff der Mülltonne und zog sie in die Einfahrt. Das hohle Rumpeln war lauter als alles andere auf der Welt.
Wenn sie ihn jetzt angriff– wird sie nicht, wird sie nicht, wird sie nicht – wie die anderen, die Tür aufriss und ihn aus dem Auto zerrte, damit sie mit ihren Uggs auf seinem Kopf herumtrampeln konnte? Das war seine Mum, Herrgott noch mal, seine Mum. Das Schlimmste, was sie je getan hatte, war, ihm einen kleinen Klaps zu geben, als er mit neun Jahren geflucht hatte. Das hatte schlimmer wehgetan, als er gedacht hätte. Ein Klaps von seiner Mutter
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