Panik: Thriller (German Edition)
Dahinter befand sich ein großer Krater im Asphalt. Er war so rußgeschwärzt, dass er wie ein riesiges Loch im Boden aussah. Ein Loch, aus dem jeden Moment eine gewaltige Spinne kriechen konnte.
Da war ein Mann gewesen, ein Mann mit einem Gewehr. Bei diesem Gedanken brachen die Erinnerungen über sie herein, sodass sie gar nicht wusste, worauf sie sich zuerst konzentrieren sollte. Da waren Bilder in ihrem Kopf gewesen, ein verwackelter Amateurfilm, in dem Cal erschossen wurde. Das war so furchtbar, dass sie es Rilke erzählt hatte, und sie waren mit dem Revolver ins Freie gerannt.
Rilke. Daisy konnte sie spüren, so wie sie die anderen in letzter Zeit spüren konnte– mithilfe der Eiswürfel in ihrem Kopf. Cal und Brick konnte sie nicht sehen. Aber einen anderen Würfel, und darin war ein Raum zu erkennen, eine Art Zahnarztpraxis mit einem großen Behandlungsstuhl in der Mitte. Sie bemerkte ein Poster mit einem Kätzchen darauf an der Decke, konnte jedoch keine Menschen entdecken.
Was war passiert? Rilke hatte den Mann erschossen, oder? Das war okay, der Mann war böse gewesen. Richtig böse. Er hatte Cal umbringen wollen. Ihm beim Sterben zuzusehen, war nicht schön gewesen, obwohl er es verdient hatte. Und dann? Daisy hatte etwas in dem Mann gesehen, ein heulendes Feuer, das sich zu befreien versuchte. Oder war sie ohnmächtig geworden und hatte das alles nur geträumt?
Woher kam dann der Rauch? Und wo waren alle anderen? Als sie sich umsah, wurde ihr schwindlig. Große Metallstangen ragten wie die Stachel eines Igels aus dem Boden. Daisy blickte auf. Ob sie wohl vom Riesenrad heruntergefallen waren? Zum Glück hatten sie niemanden aufgespießt. Vor den Pavillontüren lag ein Lumpenhaufen, den sie fast übersehen hätte, bis sie begriff, was der Haufen wirklich war.
» Rilke!«, rief Daisy und stolperte über den rissigen Boden. Das Gesicht des Mädchens war mit Ruß bedeckt. Sie wirkte völlig leblos. » Hilfe!«, schrie Daisy. » Warum hilft mir denn keiner?«
Was musste man noch mal tun, wenn jemand bewusstlos war? In seinen Mund atmen oder so. Das hatten sie in der Schule an einer Puppe geübt. Und der Herzschlag? Daisy drückte ihre Finger gegen Rilkes Hals und betete um einen Puls. Tock-tock-tock-tock, so schnell wie der eines Kaninchens. Daisy hätte vor Erleichterung fast losgeheult. Sie strich Rilke das lange, dunkle Haar aus dem Gesicht.
» Ist hier jemand?«, rief sie. » Ich bin gleich wieder da«, sagte sie sanft. » Ich hole Hilfe, Rilke. Alles wird gut.«
Sie rannte auf den klaffenden Krater an der Vorderseite des Parks zu. Hoffentlich kommt da keine Spinne raus.
» Hallo? Cal? Hierher!«
» Daisy?« Es war eher ein Stöhnen als ein Schrei. Sie ging auf die Überreste des Hotdog-Stands zu ihrer Rechten zu, stieg vorsichtig über den Schutt, bis sie neben ein paar Kisten und einer halb eingestürzten, von Graffiti bedeckten Betonwand stand. Dahinter ragten zwei Füße hervor. Einer trug einen Turnschuh, der andere nur eine Socke. Die Füße bewegten sich.
» Cal?« Sie lief um die Mauer herum. Cal saß auf dem Weg. Er sah ebenfalls ziemlich mitgenommen aus, hatte einige kahle Stellen auf dem Kopf, die über dem rechten Ohr sah ziemlich ulkig aus. Er sah sie und versuchte aufzustehen, fiel aber wieder auf den Hintern. Daisy ging neben ihm in die Hocke und legte eine Hand auf seine Schulter. Auf der Vorderseite seines T-Shirts war ein langer Riss. » Alles in Ordnung?«
» Glaub schon«, sagte er und klopfte mit den Händen über seinen Körper. » Ist noch alles dran.« Er lächelte, was ihm jedoch wehzutun schien. » Hilf mir mal auf, ja?«
Daisy packte seinen Arm und zog, bis er auf den Beinen war. Einen Augenblick lang stand er gebeugt da, legte die Hände auf die Knie und kniff die Augen zusammen.
» Was zum Teufel ist passiert?«, fragte er. » Ich fühle mich, als hätte mich ein Lastwagen überrollt.«
» Leute?« Daisy drehte sich um. Brick humpelte zu ihnen herüber. Er hatte kohlschwarze Ringe um die Augen wie ein Waschbär. Blut tropfte von seinem linken Arm. Daisy freute sich, ihn zu sehen, und ganz besonders freute sie sich über sein schiefes Lächeln. » Alles klar?«
» Mir fehlt nichts, aber Rilke ist verletzt. Sie wacht nicht mehr auf. Sie braucht Hilfe.«
» Atmet sie?«, fragte Brick. Daisy nickte. Wenn ihr Herz schlug, musste sie auch atmen, oder nicht? Brick hustete und spuckte einen rostfarbenen Schleimklumpen aus. » Erst mal müssen wir das Feuer löschen.
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