Panther
Dr. Dressler.«
»Die Eltern des Jungen sollten so schnell wie möglich benachrichtigt werden.«
»Bei der Gelegenheit sollte man sie auch gleich über sein unannehmbares, störendes Verhalten in Kenntnis setzen.«
»Natürlich«, sagte Dr. Dressler, und ihm war offensichtlich nicht ganz wohl bei der Vorstellung.
Wie überhaupt jeder an der Truman School ging er Mrs. Stark nach Möglichkeit aus dem Weg. Seit er Schulleiter war, hatte er merkwürdige Geschichten über sie gehört. Sie lebte allein, aber ob sie geschieden war oder Witwe, schien niemand zu wissen. Einem Gerücht zufolge war ihr Haus voll mit ausgestopften Tieren – Waschbären, Stinktieren und dergleichen. Einem anderen Gerücht zufolge hielt sie dreiundfünfzig Schlangen als Haustiere, darunter angeblich auch eine Damantrückenklapperschlange.
Offiziell ging Mrs. Starks Privatleben Dr. Dressler nichts an. Als Lehrerin war sie pünktlich, gründlich und arbeitsam. Die Schüler mochten Angst vor ihr haben, aber sie lernten auch viel bei ihr. In den Vergleichstests glänzten die Schüler der Truman School in allen Fragen aus dem Bereich Biologie gegenüber anderen Schulen immer durch auffallend gute Ergebnisse.
Gleichwohl fragte sich Dr. Dressler immer wieder, ob an den verrückten Geschichten über Mrs. Stark etwas dran war. Er fühlte sich stets unbehaglich in ihrer Gegenwart, vermutlich deswegen, weil sie so eine imposante Erscheinung war und mit ihm sprach wie mit einem minderbemittelten Neffen.
»Es ist mir ein Vergnügen, Duanes Eltern selbst anzurufen«, sagte sie ein bisschen zu munter.
»Nicht doch, Sie haben mit der Exkursion morgen schon genug um die Ohren …«
»Es ist alles fix und fertig, Dr. Dressler.«
»Gut. Sehr gut.« Er lächelte matt. »Trotzdem werde ich die Scrods selbst kontaktieren. Das gehört nun mal zu meinen Pflichten.«
Mrs. Stark erhob sich. Dr. Dressler legte die verstümmelten Überreste des Bleistifts in einen Frühstücksbeutel, den er sorgfältig verschloss.
»Der Stift war in meiner Hand, als er darauf losging«, sagte Mrs. Stark. »Wie leicht hätte er mir die Finger abbeißen können. Ich gehe davon aus, dass der Vorfall disziplinarische Konsequenzen haben wird.«
Die Truman School besaß einen detaillierten Verhaltenskodex für Schüler, aber spontan fiel dem Schulleiter keine Regel ein für den Fall, dass ein Schüler den Bleistift eines Lehrers aufaß. Vermutlich fiel das in die Kategorie »unbotmäßiges Verhalten«.
»Was hat Duane nur dazu gebracht, so etwas zu tun?«, fragte Dr. Dressler Mrs. Stark.
»Er hat sich geärgert, weil ich ihn gebeten habe, einen Aufsatz zu schreiben«, erklärte sie. »Und diesen Aufsatz sollte er deswegen schreiben, weil er seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Die Klasse sollte für heute ein Kapitel im Biologiebuch lesen. Aber als ich ihn aufrief, war er nicht in der Lage, sich zu dem Text zu äußern.«
»Ich verstehe.« Dr. Dressler zog eine Schublade auf und legte die Tüte mit dem verstümmelten Bleistift hinein.
»Hatten Sie übrigens vor, uns auf unserer Exkursion zu begleiten?«, fragte Mrs. Stark. »Sie können gern bei mir mitfahren.«
»Leider wird das nicht möglich sein«, beeilte sich der Schulleiter zu sagen. »Ich habe ein … eine Sitzung, morgen früh, eine Beiratssitzung. Der Schulbeirat tagt.«
Und falls es keine Sitzung gibt, dachte Dr. Dressler, dann organisiere ich eine. Er war kein Mensch, den es hinauszog. Sein Kontakt mit der Natur beschränkte sich auf gelegentliche kurze Einblicke in das Leben wilder Tiere, die ihm der Fernsehsender Animal Planet gewährte, wenn er sich zwischen einer Koch-Show und der nächsten durch das restliche Programm zappte. An einen Ort mit dem Namen Schwarzrankensümpfe zog ihn absolut nichts.
»Sie wissen nicht, was Sie sich entgehen lassen«, sagte Mrs. Stark.
»Da mögen Sie recht haben.«
Als Mrs. Stark sein Büro verlassen hatte, rief Dr. Dressler bei den Scrods an. Ein Mann meldete sich, knurrte etwas Unverständliches in den Hörer und legte wieder auf.
Überrascht suchte sich Dr. Dressler die Akte des Schülers Duane Scrod jr. heraus. Daraus ging hervor, dass der Junge zwei Jahre länger als üblich in der Grundschule verbracht hatte und später von der staatlichen Mittelschule geflogen war, nachdem er sich mit seinem Sportlehrer geprügelt hatte. Bei dieser Prügelei hatte der Lehrer nicht nur drei Zähne eingebüßt, sondern auch die Spitze des rechten kleinen Fingers.
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