Pantoffel oder Held?: Roman (German Edition)
sieht einfach hinreißend aus. Mein Vater steht wortlos neben uns und ringt sichtlich um seine Fassung. Die hellblauen Augen meiner Schwester glitzern verdächtig, und ich bin zwar nicht unbedingt zu Tränen gerührt, aber doch ein wenig ergriffen.
»Na, dann wollen wir mal!«
»Ach Franzi, würdest du wohl hinter mir herlaufen und achtgeben, dass meine Schleppe sich nicht verheddert? Ich wollte dich eigentlich letzte Woche anrufen und dich fragen, aber dann habe ich es wohl vergessen.« Ich werfe meinem Vater einen triumphierenden Blick zu, aber der schaut so verständnislos zurück, dass ich vermute, er hat die ganze Schleppendiskussion gar nicht mitbekommen. Er hatte schon immer ein Talent dafür, nur körperlich anwesend zu sein, wenn die Frauen in seiner Familie sich zoffen.
»Na klar, das mache ich«, sage ich friedfertig. »Dann mal los.«
Es ist die perfekte Inszenierung. Wie von Zauberhand öffnet sich das Kirchenportal genau in dem Moment, als die ersten Klänge des Pachelbel-Kanons ertönen. Am Arm meines Vaters schreitet Emma in Richtung Altar, die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt, sodass ich mich kurz frage, ob das Ehepaar Knax, wie Emma ab jetzt heißen wird, möglicherweise ein paar Komparsen für die leeren Stellen engagiert hat, die das Gesamtbild hätten stören können. Das Meer von roten Rosen, das sich über Altar und Bankreihen ergießt, verströmt einen schweren, betörenden Duft, alle Gäste erheben sich und schauen in unsere Richtung. In Emmas Richtung natürlich. Ich zupfe hier und da noch an einem Fetzen Tüll, aber das Kleid ist sein Geld wert und wogt perfekt um Emmas schlanke Gestalt herum. Vorne am Altar steht Julius. O Gott, er trägt allen Ernstes einen Frack. Na gut, warum auch nicht? Auf jeden Fall strahlt er über das ganze Gesicht, und so wenig ich ihn auch leiden kann, er scheint meine Schwester wirklich zu lieben, und das ist es schließlich, worauf es ankommt. Plötzlich erscheinen vor meinem inneren Auge Bilder aus unserer Kindheit. Emma als winziges Baby in ihrer Wiege, verknautscht und rosig. Bei ihren ersten Gehversuchen in unserem Garten. Am ersten Schultag mit der großen Schultüte in der einen Hand, die andere fest in meinen Rock verkrallt. Wir sind inzwischen am Altar angekommen, und mein Vater überreicht seinem zukünftigen Schwiegersohn sichtlich schweren Herzens Emmas Hand. Ich schlüpfe in die zweite Bankreihe neben Nils und drücke seine Hand. Mit einer Geste bedeutet uns der Pfarrer, Platz zu nehmen. Ich lehne mich entspannt zurück. Und auf einmal freue ich mich sogar ein bisschen für meine Schwester. Dass sie den richtigen Mann für sich gefunden hat und nun endlich ihre Traumhochzeit bekommt. Zugegeben, für meinen Geschmack ist die Sache ein bisschen zu durchgestylt, das Kleid zu üppig, das Atlantic zu teuer und der Pachelbel-Kanon zu vorhersehbar. Aber unbestreitbar verläuft alles genau so, wie Emma sich das schon als ganz kleines Mädchen erträumt hat.
Nach dem Traugottesdienst dauert es eine halbe Ewigkeit, bis alle Gäste bei dem frischgebackenen Ehepaar ihre Glückwünsche losgeworden sind. Unruhig trippele ich von einem Bein aufs andere, weil mir die Füße in den hochhackigen Schuhen schon jetzt furchtbar wehtun. Ich werde diesen Brauch nie verstehen. Warum fahren nicht alle gemütlich zum Festsaal und gratulieren dort? Da würde man auch nicht in der prallen Sonne stehen. Emmas Make-up jedenfalls braucht dringend eine Auffrischung, und außerdem habe ich ihre Absätze gesehen und möchte wetten, dass ihre Fußsohlen mindestens so brennen wie meine.
»Was machst denn du für ein Gesicht?«, erkundigt sich Nils besorgt.
»Ach, mir tun bloß ein bisschen die Füße weh. Diese Schuhe sind schrecklich hoch.«
»Aber deine Beine sehen toll darin aus.«
»Danke. Wenigstens etwas!«
Im Festsaal des Atlantic-Hotels angekommen, lasse ich mich sofort auf den erstbesten der dunkelblau gepolsterten Stühle fallen.
»Ach, das tut gut«, ächze ich und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Wider Willen bin ich beeindruckt. In diesem Saal könnte eine Königshochzeit stattfinden. Von der sicher sieben Meter hohen Decke hängen gewaltige Kronleuchter mit Hunderten von echten Kerzen, die alles in ein warmes Licht tauchen. Riesige Gemälde von Schiffen auf stürmischer See zieren in schweren Goldrahmen die Wände. Die zwanzig runden Tische sind mit edelstem Geschirr eingedeckt und biegen sich unter der üppigen Dekoration aus dicken,
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