Pantoffel oder Held?: Roman (German Edition)
flüstere ich Nils zu, der seinen Jakobsmuschelwürfel gerade mit der Gabel in zwei Dreiecke teilt.
»Köstlich, nicht wahr?« Er strahlt mich zufrieden an. Merkwürdig. Schließlich mögen wir doch sonst immer genau dieselben Sachen. Aber vielleicht ist es eine Frage der Gewöhnung? Jedenfalls bringe ich es nicht übers Herz, ihm zu gestehen, dass ich mit dieser Art von Sterneküche nicht besonders viel anfangen kann. Stattdessen nicke ich tapfer und nehme einen tiefen Schluck aus meinem Weinglas. Dabei muss ich plötzlich an Heino denken. Dieser Wein hier ist wahrscheinlich sogar noch teurer als der, den er bei unserem Date bestellt hatte. Und trotzdem kann ich beim besten Willen nicht ausmachen, was denn nun die geschätzten achtzig Euro Preisunterschied zu meinem Lieblingswein von Aldi rechtfertigt. Bin ich ein Banause? Ich schätze schon. Hungrig beginne ich, die dekorativ auf dem Tellerrand drapierten Minzeblätter aufzuessen. Leider wird es nicht besser. Selbst der Fleischgang, Rehfilet im Strudelblatt mit – was sonst – geliertem Rotkraut auf Preiselbeerschaum ist nur eine Füllung für den hohlen Zahn. Ich bin nicht einmal in der Lage, der Rede meines Vaters mit der angemessenen Aufmerksamkeit zu folgen, weil ich im Hungerdelirium von einem fetten Big Mäc mit Pommes fantasiere. Wenn der Nachtisch, wie ich befürchte, nicht aus Schüsseln voller Mousse au Chocolat, Roter Grütze mit Seen von Vanillesoße sowie riesigen Stücken saftigen Schokoladenkuchens besteht, dann werde ich Nils bitten, schnell mit mir bei McDonald’s vorbeizufahren. Als sich erneut die Tür öffnet, schließe ich die Augen und sende ein Stoßgebet zum Himmel.
»Basilikumparfait mit gratinierter Orange«, näselt es neben mir, »guten Appetit.« Ich öffne die Augen und sehe enttäuscht auf das winzige, von der Kälte innen leicht beschlagene Gläschen mit dem knallgrünen Inhalt. In meiner Verzweiflung lasse ich den Blick schweifen und sehe Omi Anni am Nebentisch kopfschüttelnd auf das Dessert starren. Dann wendet sie sich zu mir um und tippt sich unmissverständlich gegen die Stirn.
»Warum isst du denn nicht? Hast du keinen Hunger mehr?«, erkundigt sich Nils.
»Doch«, sage ich schnell und greife nach meinem Nachtisch, bevor er auf die Idee kommt, ihn mir wegzufuttern. Es schmeckt wirklich höchst merkwürdig, irgendwie nach Pesto und bis auf die kärgliche Schicht in irgendeinem Alkohol eingelegter Orange auch gar nicht süß.
»Na, ihr Lieben, wie geht es euch hier?« Anni tritt lächelnd an unseren Tisch.
»Gut. Hat dir das Essen geschmeckt, Omi?«, erkundigt sich Emma.
»Es war wirklich interessant. Und wie ich immer sage: Der Hunger ist der beste Freund des Menschen, nicht wahr?« Noch während wir alle überlegen, was damit gemeint sein könnte, wandert sie schon zum nächsten Tisch davon. In diesem Moment erscheint ein einzelner Kellner im Türrahmen, bleibt eine Sekunde unschlüssig stehen, scheint mit sich zu ringen und kommt dann geradewegs auf unseren Tisch zu. Hoffnungsvoll sehe ich ihn an, aber er beugt sich zu Julius hinunter.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber erwarten Sie eine … Lieferung?«
»Was denn für eine Lieferung?«
»Draußen steht ein Mann, der darauf beharrt, eingelassen zu werden. Wissen Sie etwas davon?«
»Nein.« Ratlos sieht Julius Emma an, die lächelnd mit den Schultern zuckt.
»Vielleicht eine Überraschung. Lassen Sie ihn doch herein.«
»Sehr wohl. Wie Sie wünschen!« Mit einem angedeuteten Diener strebt er in Richtung Ausgang davon.
»Eigentlich wollte ich gerade meine Rede halten«, sagt Julius , aber Emma legt ihre frisch beringte Hand – Platin, logisch – auf seine.
»Ich möchte wissen, was das für eine Überraschung ist.«
»Natürlich, Liebling.« Erwartungsvoll blicken wir zur Tür, wo in diesem Moment ein langer, schlaksiger Mann in Jeans und Kapuzenjacke auftaucht. Ich kralle mich am Tischrand fest und blinzele. Dass es mit meiner Unterzuckerung so weit gekommen ist, war mir nicht bewusst. Doch ich leide eindeutig an Halluzinationen. Denn vor sich her trägt der Mann eine riesengroße, saftige Schokoladentorte, bei deren Anblick mir das Wasser im Mund zusammenläuft. In der fingerdicken, dunkel glänzenden Buttercreme steckt flackernd eine einzelne rosa Kerze. Aber es kann nur ein Traum sein. Der Mann sieht haargenau aus wie Fred, und das ist ja nun der endgültige Beweis, dass die ganze Situation meinem hungrigen Gehirn entsprungen sein
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