Pantoffel oder Held?: Roman (German Edition)
Freund halten. Schließlich bin ich heute fünfunddreißig Jahre alt geworden. Ich bin eine erwachsene Frau mit eigener Meinung und eigenem Leben. Trotzdem muss ich zugeben, dass es mir nicht egal ist. Und dass der anerkennende Blick, den Mama mir hinter Nils’ Rücken zuwirft, meine Laune noch mehr hebt.
»Hast du neue Ohrringe, Franzi?«
»Hat Nils mir geschenkt. Zum Geburtstag.«
»Also, das ist ja wirklich … »
»Hallo Geburtstagskind, lass dich umarmen«, unterbricht Omi Anni unsere Unterhaltung, und schon hängt sie an meinem Hals und bedeckt mein Gesicht mit Küssen. »Ich wünsche dir alles Liebe, mein Kind! Und das ist er also!« Mit verschränkten Armen stellt sie sich vor Nils auf und mustert ihn unverhohlen von oben bis unten, bevor sie ihre Hände nach ihm ausstreckt und ihn ebenfalls abbusselt. »Nils, grüß dich, ich bin Anni. Und das ist Hinrich. Er sieht wirklich gut aus«, wendet sie sich an mich, als ob Nils gar nicht da wäre. »Und ich dachte, du übertreibst. Aber das wäre auch in Ordnung gewesen, Schätzchen.«
»Wir sollten jetzt mal langsam reingehen«, drängelt Mama, »Nils, Sie kommen mit mir. Erich und Franzi, ihr wartet hier.«
»Warum denn?«, erkundige ich mich, nicht bereit, Nils’ Hand loszulassen.
»Du gehst doch hinter Emma her, um ihre Schleppe zu richten.«
»Ich mache was, bitte?«
»Franzi, jetzt tu nicht so, als würdest du das zum ersten Mal hören.«
»Aber ich höre es zum ersten Mal«, verteidige ich mich.
»Emma hat dich letzte Woche angerufen, um dich darum zu bitten.« Um mich zu bitten? Spätestens jetzt weiß ich, dass dieser Anruf höchstens in der Fantasie meiner Schwester stattgefunden haben kann, denn das Wörtchen bitte gehört nicht in ihren Sprachgebrauch.
»Nein, hat sie nicht!«
Meine Mutter stößt einen missbilligenden Seufzer aus. »Du sagst also, sie lügt?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich habe keinen solchen Anruf gekriegt.«
»Und es könnte nicht sein, dass es dir entfallen ist? Wäre ja nicht das erste Mal.«
»Genauso gut könnte es Emma sein, die mich vielleicht anrufen wollte, es dann aber vergessen hat.«
»Bei dem, was deine Schwester in letzter Zeit mit den Hochzeitsvorbereitungen zu tun hatte, wäre das auf jeden Fall verzeihlicher als bei dir, die du dich nur für diese eine kleine Aufgabe zur Verfügung stellen sollst.« Vor lauter Empörung über diese Ungerechtigkeit stockt mir der Atem. Hilflos sehe ich Nils an, der beruhigend meine Hand drückt.
»Entschuldigt uns eine Sekunde«, sagt er und zieht mich ein paar Schritte weiter. Mir stehen vor lauter Wut die Tränen in den Augen.
»Tut mir leid«, würge ich an dem Kloß in meinem Hals vorbei.
»Das muss dir doch nicht leid tun.« Er streichelt mir sanft über die Wange, was mein Bedürfnis, auf der Stelle loszuheulen, leider noch verstärkt.
»Meine Mutter muss einfach ständig auf mir herumhacken.« Ich sehe zu ihr hinüber, die mit verschränkten Armen dasteht und ungeduldig mit dem Fuß wippt.
»Wahrscheinlich ist sie einfach nervös«, versucht Nils mich zu beruhigen.
»Ich will die doofe Schleppe nicht richten.«
»Aber warum denn nicht?«
»Weil die dumme Kuh es nicht einmal für nötig befunden hat, mich anzurufen, um mich darum zu bitten. Darum!«
»Das verstehe ich ja. Aber wäre es nicht besser, es einfach zu tun, als den ganzen Abend von deiner Mutter dumme Sprüche zu kassieren?«
»Die krieg ich doch sowieso«, sage ich trotzig, aber ich spüre, wie mein Widerstand in sich zusammenfällt.
»Na komm, tu’s für mich, okay?« Er tritt nah an mich heran und gibt mir einen Kuss. »Ich würde dich gerne mal zum Altar schreiten sehen.«
»Alles klar«, rufe ich meiner Mutter zu, »ich mach’s!«
Eine halbe Stunde später ist der Kirchenvorplatz menschenleer, die Sonne strahlt von einem absolut perfekten blauen Himmel herunter, und das mit roten Rosen geschmückten Brautauto, das von Julius’ Trauzeugen gefahren wird, rollt langsam heran. Auf dem Rücksitz mache ich unter mehreren Dutzend Lagen champagnerfarbenen Chiffons und Tülls meine Schwester aus. Mit vereinten Kräften hieven wir sie aus dem Wagen, und mir wird klar, dass sie auf meine Hilfe dringend angewiesen ist. Im Moment sieht sie nämlich noch aus wie eine umgestülpte weiße Rose. Schicht um Schicht drapiere ich das Kleid um sie herum, sodass es schließlich wieder aussieht wie auf dem Foto. Ich richte mich auf, trete einen Schritt zurück und mustere kritisch mein Werk. Emma
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