Papa ante Palma
um eine eigene Eselrasse, die es nur auf der Insel gibt. Die Tiere sind schwarz und etwas größer und kräftiger als normale Esel – allerdings auch etwas sturer.
Schon aus dem Busfenster halte ich nach einem geeigneten Kandidaten Ausschau. Ich traue meinen Augen nicht, denn inmitten dieser müffelnden Horde steht ein einzelner weißer Esel. Der Moby Dick unter den Eseln! Muli Dick! Der Auserwählte! Schneeweiß, mit durchtrainierten, geäderten Läufen und einer stolzen Kopfhaltung, wie man sie sonst nur von Lipizzanern kennt.
Der Bus hält. Ich reiße mich von meinem Vater los und renne auf den Esel zu. Den muss ich reservieren, denke ich. Das ist meiner. Ein großer Mann mit fleischigen Armen und einer Fotokamera um den Hals hat sich auch schon in Bewegung gesetzt und visiert Muli Dick an. Verdammt.
Eine Frau ruft: »Da, seht nur! Der weiße Esel!«
Unruhe kommt auf, denn jetzt will ihn jeder. Aber ich habe einen guten Vorsprung, bin nur noch wenige Meter entfernt. Doch auf einmal biegt der Mann mit der Kamera in meine Spur ein, und wir rennen Kopf an Kopf durch die grauschwarzen Paarhufer. Muli Dick hebt schon den Kopf, jetzt hat er uns gesehen. Ich kann den schweren Atem des Mannes neben mir hören, da kommt jemand von hinten angeprescht, touchiert uns und taucht durch unsere Mitte nach vorne. Ich erheische noch einen kurzen Blick auf den Läufer, bevor ich abgedrängt werde und vollends aus dem Tritt komme. Habe ich dieses Hemd heute nicht schon mal gesehen?
Ich muss mich mit aller Kraft abfangen, um nicht zu stolpern und gegen den Esel neben Muli Dick zu knallen. Dem Mann neben mir geht es nicht anders. Als ich endlich zum Stehen komme und erschöpft die Hände auf den Knien abstütze, brauche ich nicht mehr nach oben zu schauen. Ich weiß es auch so. Es ist das weißblau karierte Hemd meines Vaters.
Alle anderen haben in der Zwischenzeit natürlich längst ihre Wahl getroffen, so dass für mich und meinen Widersacher nur noch die Esel-Ausschussware übrig bleibt.
Von den letzten beiden mausgrauen, brotfertigen Eseln, die wir noch finden, erwischt mein Mitstreiter immerhin den, der noch einen Rest Mähne und ein paar Zähne im Maul hat. Na toll, da habe ich den Pumpernickel-Pool überlebt, um mich nun auf dem ältesten Klappergestell des gesamten Mittelmeerraumes wiederzufinden. Mein Esel hat Mundgeruch und sieht aus wie ein altes Holland-Rad, über das jemand einen Parka geworfen hat. Als ich mich auf seinen durchhängenden Rücken setze, spüre ich jede einzelne seiner Rippen. Fairerweise müsste ich ihm anbieten, auf mir zu reiten.
»He, hopp!«, rufe ich, doch er rührt sich keinen Zentimeter vom Fleck. Indes sehe ich meinen Vater ruhmreich auf Muli Dick davonreiten, der ihm aufs Wort gehorcht. Es scheint, als wären die beiden eine Einheit, als hätten sie schon immer zusammengehört. Dabei wusste ich nicht mal, dass mein Vater überhaupt reiten kann. Soweit ich mich erinnere, hat er nie ein Tier auch nur angefasst.
Einer stummen Prozession gleich zockeln die dunklen Tiere samt Reiter in die Arena, als warteten sie nur auf weitere Anweisung meines Vaters. Ich bilde mit meinem langsam dahintrottenden Esel die Nachhut, gute fünfzig Meter hinter Vater und Muli Dick.
Als alle Tiere endlich innerhalb der ovalen Sandbahn traben, verschärft die Spitzengruppe um meinen Vater leicht das Tempo. Für viele der Schwarzwald-Cowboys und Ruhrpott-Djangos ist das schon der Todesstoß und sie müssen die anderen davonziehen lassen. Mein Vater dagegen führt das Feld souverän an und spielt mit seinen Gegnern. Ich kann ihn sicher einholen, selbst mit dem klapprigen Eselgestell. Warum denn nicht? Er hat mir Muli Dick weggeschnappt, und er ist mein Vater. Bessere Argumente brauche ich nicht, um meinem klapprigen Untersatz ordentlich in die Seiten zu treten und ihn anzufeuern. Dabei bediene ich mich einer Technik, die ich mal bei Western von Gestern gesehen habe. Man nimmt die Zügel in eine Hand und peitscht abwechselnd rechts und links auf den Hals und duckt sich möglichst stark, weil windschnittig in den Sattel. Nur leider reagiert mein Esel im Gegensatz zu den Pferden aus dem Fernsehen darauf nicht. Vielmehr bleibt er einfach stehen, tritt aus und fängt an zu blöken.
»Lauf endlich!«, schreie ich ihn an.
Auf der anderen Seite der Sandbahn sehe ich meinen Vater und seine Jünger immer näher kommen. Wenn mein Esel nicht langsam mal losläuft, werden sie mich überrunden. Das wäre die Höchststrafe.
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