Papa
wenn ich die Augen schließe. Er verfaulte bei lebendigem Leib, und meine Mutter vögelte ihre kleinen Stalljungen in der Scheune.
Michelle presste eine Hand vor den Mund und unterdrückte den Würgereflex. Tom hatte ihr die Ereignisse damals weniger dramatisch beschrieben.
Sie blätterte weiter, fand aber den Anschluss nicht. Die Unterlagen schienen völlig durcheinandergeraten zu sein. Sie blätterte zurück und wieder vor, sie überflog eine Seite und stoppte, als sie ihren Namen entdeckte.
Michelle war meine große Liebe. Mein Trieb war damals kaum zu kontrollieren, aber als ich sie kennenlernte, war er weg. Ganz plötzlich, als hätte es ihn nie gegeben. Es war unbeschreiblich. Michelle war so einfühlsam und aufopfernd. Sie war die Erste, bei der ich mich wirklich sicher fühlte. Mit ihr teilte ich alles. Nun ja, fast alles. Die Sterbenden waren dank ihr aus meinem Leben verschwunden. Dieses Gefühl, das ich damals hatte, wird niemand nachvollziehen können. Die Freiheit, die ich gespürt habe, das Glück. Ich verdankte Michelle so unglaublich viel. Gott, wie ich sie dafür geliebt habe.
Fast hatte ich meine dunkle Seite vergessen, wenn da nicht dieser Unfall gewesen wäre. Es gibt Ereignisse, die etwas in Gang setzen, was man nicht aus eigener Kraft stoppen kann.
Im Winter 2001 war das. Ich war damals vierunddreißig, und wir waren seit gut einem halben Jahr zusammen. Michelle und ich waren unterwegs, ich weiß gar nicht mehr, wohin.
Ein Auto überholte uns auf der Autobahn, kam auf der verschneiten Bahn ins Schleudern, und wir kollidierten.
Michelle erinnerte sich noch an den Unfall. Es war schlimm. Das erste Mal, dass sie jemandem beim Sterben zusah. Tom hatte sich rührselig um die Sterbende gekümmert, ihre Hand gehalten, sie gestreichelt. In dem Moment wurde ihr klar, dass er ein besonderer Mensch war. Intelligent, einfühlsam. Der Unfall war grauenhaft, aber Tom sorgte dafür, dass er für Michelle erträglich wurde.
Am Tag darauf hatte er Michelle einen Heiratsantrag gemacht. Hätte er ihn nicht gemacht, hätte sie es an seiner Stelle getan. Er war
der
Mann in ihrem Leben. Dieser Unfall änderte alles.
Ich zog das Mädchen aus dem Wrack. Sie war mit Wunden übersät. Das Blut floss aus ihr heraus, als hätte man Löcher in einen Wasserballon gestochen.
Ich weiß nicht, ob das Mädchen noch etwas mitbekam. Sie schrie nicht, fixierte mich nur mit ihren blauen Augen. In eines davon war Blut gelaufen.
Ich kniete mich zu ihr und hielt sie im Arm. Ich hatte das Gefühl, bei ihr bleiben zu müssen. Ihre ruhigen Atemzüge wurden nur unterbrochen, wenn sie Blut hustete, das ihr schaumig am Mund kleben blieb.
Ich weiß nicht, was Michelle in dieser Zeit tat. In diesem Moment war es mir auch egal. Es gab nur mich und dieses sterbende Mädchen. Ich saß da und wartete, während das Leben aus ihr herausfloss.
Der Geruch des Blutes, das sich klebrig auf mir verteilte, der zuckende Leib unter mir, all das war … ich weiß nicht, wie ich es einem gesunden Menschen erklären kann.
Alles kam wieder zurück. Ein halbes Jahr lang hatte ich nicht mehr dieses Bedürfnis, und plötzlich kam es mit einer Wucht wieder, die mich von den Füßen riss.
In diesem Augenblick, dort an der Unfallstelle, spürte ich die Erregung am ganzen Körper. Gott, ich hatte eine Latte, die so hart war wie noch nie in meinem Leben. Und als die Frau schließlich in meinen Armen starb, habe ich all die aufgestaute Lust in meine Hose gespritzt, die sich seit einem halben Jahr in meinen Lenden angestaut hatte.
Es war wie ein feuchter Traum. Etwas, das mir keine Frau geben konnte. Zumindest keine lebende.
Michelle wurde schwindelig. Wie hatte sie das nur übersehen können? Der Impuls, sich übergeben zu müssen, kam so plötzlich, dass sie keine Zeit mehr hatte zu reagieren. Sie würgte und erbrach sich ins hohe Gras.
Schwer atmend wartete sie, bis der Reiz vorbei war. Dann lehnte sie sich erschöpft gegen die Zinkwanne und griff wieder nach dem Buch.
So wollte ich nicht weiterleben. Das konnte ich Michelle nicht antun. Also habe ich mir etwas ausgedacht. Durch den Unfall war mir klar, dass ein kalter Entzug niemals funktionieren würde. Also habe ich ein Ritual entworfen, das mich in einen anderen Menschen verwandeln sollte.
Was soll ich sagen? Es hat funktioniert.
Michelle starrte vor sich hin und erinnerte sich an den Gerichtsprozess, der gezeigt hatte, dass Tom falsch lag. Ihr gemeinsames Leben
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