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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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du hier?« Ihre Stimme schwoll an, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können.
    Sie spürte, wie heiße Tränen von hinten gegen ihre Augäpfel drückten. »Du machst mir Angst, weißt du das?« Lillian wandte sich ab. Sie wollte nicht, dass er sie weinen sah. »Du sagst, ich bin krank und muss Medikamente nehmen, du sagst, Mama wäre bald hier, aber ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll. Du antwortest nicht auf meine Fragen, stattdessen schließt du mich ein.« Ihre Stimme zitterte, und die Tränen brachen aus ihr heraus. Sie redete nicht weiter.
    Tommis Beine schlugen gegen die hölzernen Schubladen. Dumpf und unheilvoll wie Dschungeltrommeln dröhnte es in Lillians Ohren.
    Vor ihm sollte man keine Angst haben. Schon gar nicht, wenn er so mickrig auf der Kommode hockte. Doch von ihm ging etwas aus, wie ein Geruch, nicht sichtbar, aber aufdringlich. Etwas, vor dem sie flüchten wollte.
    Es war ihr unangenehm, mit ihm in einem Raum zu sein. Und das machte sie umso wütender.
    Als das Trommeln abriss, wischte sie sich mit dem Ärmel über die Wangen und drehte sich um. »Ich gehe jetzt. Ich habe die Nase voll. Versuch ja nicht, mich aufzuhalten.« Sie ging in Richtung Tür. Dieses mickrige Kerlchen auf der Kommode würde sie doch nicht aufhalten können. Von ihrem Stiefvater, so viel konnte sie inzwischen sagen, war in ihm nicht mehr viel übrig. Hier gehörte sie nicht hin.
    Mit einem Satz sprang Tommi auf die Füße und richtete sich vor ihr auf wie ein Heißluftballon, der gefüllt wurde. Je größer er wurde, desto mehr Licht schien er zu verschlucken, desto mehr verschwand Lillian im Schatten. Und während seine Kraft wuchs, schrumpfte ihre zu einer winzigen Rosine zusammen.
    In seinem Gesicht lag eine Spannung, die Panik in ihr hochstiegen ließ. Sachte schob sie einen Fuß nach hinten.
    »Der Wald«, sprach er leise, fast zischend wie eine Schlange, »ist nicht
deine
Sache. Das ist
mein
Part. Dafür bin
ich
zuständig. Frag nicht noch einmal nach.« Er kam einen Schritt auf sie zu. »Ich bin dein Stiefvater. Du tust, was ich dir sage.«
    »Wo ist Mama?«, fragte Lillian schwach. Es war das Einzige, was ihr einfiel. Jegliche Kraft schien mit den Tränen aus ihrem Körper zu fließen. »Wo ist sie?«
    Tommi machte noch einen Schritt auf sie zu und nahm ihre Wange in die Hand. Ganz sanft, als wäre sie aus Seide. Er spürte ihre Wärme, und er bildete sich ein, ihre Angst zu riechen.
    Ja, wo war Michelle? War die Chinesin bereits in ihrer Hand? Er zweifelte nicht daran, dass sie es tun würde. Eine Mutter lässt das eigene Kind nie im Stich.
    Und er sorgte dafür, dass ihre Aufgaben nicht leichter wurden.
    Michelle hatte ihn verurteilt. Ihn fallen lassen, ihn verraten. Dafür würde sie büßen. Von jetzt an und für immer.
    Sein Herz schlug schneller vor Erregung.
    Sein Rückfall war ihre Schuld. Er war nur das Produkt. Die Fabrikanten waren andere. Sie hatten ihn zu einem Täter gemacht. Wie Frankensteins Monster hatten sie ihn geschaffen, um ihn dann zurückzustoßen, weil sie in ihm ihre eigene Grausamkeit wiedererkannten. Er war der dunkle Spiegel, und sie ertrugen ihren eigenen Anblick nicht. Deshalb hatte man sich von ihm abgewandt und ihn eingesperrt.
    Das Wissen, den Spieß umzudrehen, Michelle von einem Opfer zu einem Täter zu machen, war stimulierend. Es gab ihm Kraft, diese chaotischen Zeiten durchzustehen. Jetzt machte er aus ihr ein Monster, von dem sie sich nicht so einfach abwenden konnte. Und die anderen halfen tatkräftig mit. Er grinste und näherte sich Lillians Gesicht. »Deine Mama hat noch das ein oder andere zu tun, aber ich verspreche dir, sie wird kommen. In der Zwischenzeit könnten wir zwei doch mal in den Keller gehen, oder? Es gibt da ein Projekt, bei dem du mir helfen könntest. Was sagst du? Würde dir das gefallen?«
    Lillian stand mit aufgerissenen Augen vor ihm. Sie funkelten angespannt. Sie war so durcheinander. Wütend und verängstigt. Im ersten Moment wollte sie ihm weh tun, doch dann sackte sie in sich zusammen und nickte. Alles war besser, als hier im Zimmer eingeschlossen zu sein. Und gegen ihn würde sie eh nicht ankommen. Nicht in diesem Zustand. Sie brauchte Kraft und nahm sich vor, sie zu sammeln, alles zu tun, um stark zu werden.
    Tommi atmete tief durch und führte sie an der Hand nach draußen. Vorbei an zwei Zimmern, von denen eines das Badezimmer war, gingen sie die Treppe hinunter.
    Im Flur roch es nach Staub und nach alten Leuten. Eine Gänsehaut lief

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