Papa
breitete die Arme aus, als zeigte er ihr sein weites Land, »zu gewöhnen. Schneid die Folie und koch sie ab. Danach kannst du nach oben gehen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Lass mich in Ruhe«, schrie sie, doch die Stimme war viel zu dünn. Damit konnte sie niemanden beeindrucken. Sie schlug seine Hand weg, die er ihr auf die Schulter legen wollte. »Ich will nach Hause!«
Tommi lächelte, als hätte sie etwas Amüsantes gesagt. »Dein Zuhause ist jetzt hier. Versuch nur, zu schreien – niemand wird dich hören! Versuch zu fliehen, und du wirst sehen, dass jeder Versuch zwecklos ist. Und sollte ich bemerken, dass du gegen mich bist, nun«, er deutete auf die Papierwand, »in dem Fall muss ich dich dem Mann dort vorstellen.«
Lillian zögerte. Die stickige Luft nahm ihr jeglichen klaren Gedanken. Der Gestank benebelte sie. Die Atmosphäre in diesem Raum schien die gleiche Wirkung wie die Tabletten zu haben. Sie drängte Lillian in den Hintergrund. Machte sie klein und unbedeutend.
Sie wollte das Monster nicht kennenlernen, und schon die Vorstellung, zu fliehen, verwandelte ihre Knie in Wackelpudding. Welche Wahl hatte sie?
Irgendwo in Tommi, daran glaubte sie ganz fest, war noch etwas Gutes. Ein kleiner Garten, den sie nur finden und pflegen musste, damit er anfing zu wuchern. Aber sie brauchte Zeit. Oder war schon alles verloren? Wenn sie doch nur klar denken könnte!
Ohne ein Wort öffnete sie einen Schrank, der neben ihr stand – ganz, als ob sie das schon öfter gemacht hätte –, und holte eine Kochplatte samt großem Topf heraus. Beides stellte sie auf die Werkbank. Dann nahm sie eine Schere und begann, die Plane nach Tommis Anweisungen zu zerschneiden.
Er wirkte ungeduldig, schaute ihr auf die Finger, während sie schnitt, und ließ sie nicht aus den Augen. Schon nach zwei Streifen tat ihr die Hand weh, so dass sie immer wieder gezwungen war, eine Pause einzulegen. Die Zeit nutzte er, um Farben zu mischen.
Lillian schluckte hart. Es kostete sie unsagbar viel Kraft, nicht einfach umzukippen. Alles um sie herum war verschwommen. Einzig die Folie schien real zu sein. Die Gedanken, die nicht benebelt waren, drehten sich um ihre Mama. Warum beeilte sie sich nicht? Was hielt sie so lange auf?
Wie viel Zeit vergangen war, konnte sie nicht einmal abschätzen, aber irgendwann kochte das Wasser, und sie stopfte die Plastikstreifen hinein, als wären es Nudeln.
An einem Lederstreifen schärfte Tommi eine Rasierklinge. Das Geräusch bereitete Lillian eine Gänsehaut, und das Ding hinter der Papierwand erwachte zu neuem Leben. Jetzt grunzte es viel höher als noch vorhin.
Tommi hielt inne und betrachtete zufrieden die Schneide. Dann legte er sie zur Seite. Er rieb sich die Hand. Genoss den Augenblick, den Triumph über das Fleisch und über die Sinne. Doch den Rest musste er allein machen. Der war nicht für sie bestimmt. »Geh auf dein Zimmer. Für das, was jetzt kommt, bist du noch nicht bereit.«
»Hör auf mit dem, was du hier unten machst«, flehte Lillian und atmete schwer.
Er schüttelte langsam den Kopf. »Davon verstehst du nichts. Aber das wirst du, mach dir keinen Kopf.«
Ihre Stimme schwoll an, und es lag Panik darin. »Hör auf damit. Bitte! Hör auf.« Mit einer Handbewegung stieß sie den Topf von der Herdplatte. Das kochende Wasser und die Plastikstreifen, die darin schwammen, klatschten auf den Boden.
Feine Tröpfchen regneten auf seine Hose und verbrühten ihm die Haut. Es fühlte sich an wie unzählige Nadelstiche. Er ignorierte sie. »Du hältst mich davon nicht ab. Ich muss das hier tun. Das weißt du. Für uns. Es ist wichtig, damit wir unser neues Leben leben können.« Er schloss die Augen.
»Damit
du
dein Leben leben kannst, meinst du wohl.« Sie schrie und weinte dabei. »Das hier ist krank. Eklig und krank.«
Das Projekt hinter dem Paravent grunzte unruhig.
Tommi seufzte, die Augen noch immer geschlossen. Noch war die Verwandlung nicht abgeschlossen. Das spürte er, wie er es immer gespürt hatte. Ein Ritual war dafür da, durchgeführt und vor allem beendet zu werden.
Jede Verwandlung hatte ihr eigenes Ritual. »Ich weiß, dass dies schwer für dich ist«, sprach er weiter in ruhigem Ton. »Aber es wird leichter werden, und jetzt geh. Was ich jetzt tun muss, ist nicht für dich bestimmt, Kleines.« Als er die Augen öffnete und um sich blickte, war Lillian fort, als hätte es sie nie gegeben.
Er nahm die Schere, mit der sie die Folie zerschnitten hatte, und trat hinter den
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