Papa
ihr den Rücken hinunter, so dass sie sich schütteln musste. Es roch wie in einem Altenheim. Nach Tod, nach verstopfter Toilette und nach Desinfektionsmittel. »Es stinkt hier«, sagte sie und verzog angeekelt das Gesicht. »Du könntest mal lüften.«
Tommi lächelte und drückte leicht ihre Hand. »Hinterher. An den Geruch solltest du dich gewöhnen, der gehört dazu.«
»Wozu?«
»Geduld, mein Schatz.«
Sie gingen durch den Flur, der von einer Reihe Wandlampen beleuchtet war, über den ausgelatschten roten Teppich die Kellertreppe hinab. Unten zog Tommi an der Strippe einer nackt baumelnden Glühbirne, die nur wenig Licht spendete.
Der Keller war niedrig. Hätte Lillian die Arme ausgestreckt, hätte sie die Decke berühren können. Rechts war der Waschkeller. Nur wenig Licht fiel vom Gang in den Raum, doch es reichte, um genügend zu erkennen. Auf einer lieblos gespannten Leine hingen Laken mit dunklen Flecken. Lillian schaute weg, um nicht darüber nachdenken zu müssen.
Er führte sie in einen Raum mit Regalen. Es roch nach feuchtem Papier, und der Gestank nach Altenheim war hier noch deutlicher. Auch ein Raumspray hätte hier nichts ausrichten können.
Lillian blieb stehen. Sie wollte keinen Schritt weiter. Ihr Kopf schmerzte, ihr Herz hämmerte. Schwindel machte sich breit. Alles in ihr sträubte sich, weiterzugehen. Zwar sah sie nur ein paar Zeitschriften und alte Kartons in den Regalen, dennoch machte ihr der Ort Angst. »Ich will hier raus!«, sagte sie mit schwacher Stimme. Dieser Ort schien ihr sogar noch die letzte Kraft zu rauben.
Tommi drehte sich um und drückte ihre Hand fester. »Du wirst sehen, dass es nicht anders geht. Es ist nötig. Hilf mir mal.« Er fasste die Strebe eines der Regale und zog daran.
Widerwillig ging sie ihm zur Hand, obwohl sie ganz bestimmt keine Hilfe sein würde. Auf dem Metall hatte sich ein Wasserfilm gebildet, der das Regal noch kälter machte. Ein eisiger Schmerz krabbelte durch ihre Finger in die Hand. Doch sie ließ nicht los.
Das Regal klappte nach oben, wie eine Kofferraumtür, und er schob Lillian durch die Öffnung.
Im ersten Moment stürzte sie in stickige Dunkelheit, dann zuckten ein paar Energiesparlampen auf, und allmählich wurde es heller, wie bei einem schnell vorgespulten Sonnenaufgang.
Übelkeit drückte mit plötzlicher Wucht gegen ihre Kehle. Sie hielt eine Hand vor den Mund und wandte sich ab. Eigentlich hatte sie nichts Schlimmes gesehen. Karge Wände, die notdürftig mit grauem Putz überzogen waren, Farbeimer und Töpfe, einen Apparat, den sie nicht einordnen konnte, und ein Holzgestell, das mit buntem Papier bespannt war.
Das alles war okay. Wie das Zimmer eines Künstlers. Es war etwas anderes, das ihr Angst einflößte. Die Luft, die ihr den Magen umdrehte, war feucht und schwer und roch nach allen möglichen Ausscheidungen.
Hinter der Stellwand grunzte jemand.
Etwas.
Lillian konnte es nicht genau sagen. Die Geräusche waren unmenschlich. Hier unten hauste ein Tier. Ihr Stiefvater hielt irgendein Monster gefangen.
Sie drehte sich vollends um und rang nach Luft. Hinter ihr war es kühler, aber keineswegs besser. Ihr wurde schwindelig.
Gerade als sie sich nicht mehr halten konnte, packte Tommi sie mit starken Händen und schob sie weiter in den Raum. Sie versuchte, nicht durch die Papierwand zu spähen. Was immer dahinter war, sie wollte damit nicht in Berührung kommen.
An einer hölzernen Werkbank blieb sie stehen. Ohne erkennbare Ordnung standen Farbtöpfchen, Tintenfässer und Behälter mit Verdünner darauf, zwischen Messern, Scheren, einem Lötkolben und anderen Dingen.
Wieder grunzte der Fremde. Für Lillian hörte es sich an, als versuchte jemand, durch einen Stofffetzen zu reden.
Die Kopfschmerzen kamen zurück. Das hier war nicht richtig. Es fühlte sich so unwirklich an.
Der Ellenbogen ihres Stiefvaters traf unsanft ihre Rippen. »Nun steh nicht so rum. Meine Hände müssen gleich filigrane Arbeiten durchführen. Ich will sie nicht unnötig belasten. Neben der Werkbank liegt eine Plastikfolie. Nimm dir eine Schere und schneide mir ein paar Stücke zurecht, die du dann abkochst.«
Lillian fixierte die Folie. Ihr wurde kalt. Was immer in diesem Raum passierte, es war nicht gut. Sie drehte sich auf dem Absatz um. »Ich will das nicht. Lass mich raus hier.«
Tommi hielt sie fest. »Sachte, sachte, kleines Fräulein. Du sollst mir nur ein wenig zur Hand gehen. Es wird dir guttun. Schon, um dich an dies hier«, er
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