Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
Vom Netzwerk:
sie aus ihrem Auto heraus beobachtete. Wie einen Vorhang trieb der Wind den Regenschleier gegen die Fassade, die im schummrigen Licht der Straßenlaternen glitzerte. Die steinernen Löwen, rechts und links vom Eingang, blickten unbeeindruckt zu ihr herüber, als warteten sie darauf, dass sie ausstieg.
    Immer wieder fuhren Autos vorbei, aber nur wenige hielten an. In der einen Stunde, die Michelle bereits wartete, war nur ein Auto zum Parken in die Seitenstraße gefahren. Der Fahrer hatte etwa eine halbe Stunde im Wagen gewartet und war dann im Restaurant verschwunden.
    Sie sah auf die Uhr. Halb neun. Einen guten Ruf schien der Laden nicht zu haben. Andere waren um diese Zeit in der Regel gut gefüllt.
    Ihre Finger trommelten gegen das Lenkrad. Ihr Körper hatte den Drang, sich zu bewegen. Am liebsten wäre sie ausgestiegen, um ein paar Mal um das Auto zu rennen. Jetzt, wo sie hier war, hielt sie es nicht mehr für eine gute Idee, reinzugehen. Der Mann am Telefon hatte ihr ein Codewort genannt und eine Summe. Eine unglaubliche Summe.
    Immer wieder fragte sie sich, ob Tom für die Chinesin bezahlt hatte, und falls es so war: Wo hatte er das Geld her? 2000 Euro, nur um seinen Wunsch zu äußern. 15000 für die Umsetzung, 5000 für die Reinigung. Über die Beseitigung wollte man nicht am Telefon sprechen. Michelle konnte sich vorstellen, in welche Höhen die Beträge rauschen würden, sollte der Wunsch ein Menschenleben kosten.
    Ihr war schlecht, und ihre Haut kribbelte. Würde das alles irgendwann vorbei sein?
    Glaub mir, irgendwann ist einfach
alles
vorbei. Die Frage sollte vielmehr lauten: Werde ich bis dahin leiden müssen? Und ich wage zu behaupten, ja! Das wirst du!
    Michelle wischte die üblen Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf den gegenüberliegenden Eingang. Ein roter Torbogen, umgeben von gelbem Putz, rahmte die Flügeltüren ein, die mit chinesischen Schriftzeichen verziert waren. Darüber leuchtete das Schild mit dem Restaurantnamen:
Zum roten Schloss
. Das Gebäude war so auffällig wie jedes exotische Gebäude, das umgeben war von tristen Mehrfamilienhäusern und Pommesbuden. Es versuchte gar nicht erst, sich zu verstecken. Das machte sie stutzig. Für das, was da drinnen abgehen sollte, war es quasi ein Leuchtfeuer inmitten von Dunkelheit.
    Es nutzte nichts. Entweder ging sie jetzt rein und zog das Ding durch, oder sie fuhr nach Hause und überließ der Polizei die Arbeit.
    Der Polizei, die solche Situationen immer im Griff hat? Wie in diesem Entführungsfall Bögerl zum Beispiel? Wie war das gleich noch mal ausgegangen? Das Entführungsopfer hat es nicht geschafft, nicht wahr?
    Sie schaute in die Handtasche und vergewisserte sich, dass alles darin war, was sie benötigte. Dann öffnete sie die Tür. Kühle Luft ließ sie augenblicklich frösteln, und der feine Regen legte sich wie ein Leichentuch auf ihr Gesicht. Sie drückte die Fernbedienung des Autoschlüssels – der Wagen fiepte und blinkte ein paarmal vor sich hin, dann überquerte sie die Straße und betrat das »rote Schloss«.
    Der Geruch im Innern war ein wenig muffig, als wäre eine Weile nicht gelüftet worden, aber die Note der chinesischen Speisen trat deutlich hervor. Dominiert von Sojasauce und Reis. Es gab keine Deckenbeleuchtung, nur indirektes Licht von den Wänden, die von verzierten Holzvertäfelungen verdeckt waren.
    Michelle ging durch einen Holzbogen, der wie eine Schlange mit Drachenkopf geschnitzt war. Rechts plätscherte ein kleiner Brunnen vor sich hin, und in einem winzigen Teich schwammen drei weiße Kois.
    Gegenüber stand die Theke, aus rustikalem Olivenholz, mit einer Kasse darauf vor einem Regal mit Spirituosen.
    Niemand schien im Raum zu sein. Weder ein Gast noch eine Bedienung. Selbst der Mann, der vorhin das Restaurant betreten hatte, war nirgends zu sehen. Vorbei an der Theke reihten sich Sitznischen, umgeben von hölzernen Gitterwänden. Auch sie waren prunkvoll verziert mit geometrischen Figuren, Blumen und Fischen. Zwischen den Nischen standen auf Fensterbänken künstliche Pflanzen und Statuen. Einschläfernde Musik schallte aus winzigen Boxen, die hier und da von der Decke hingen. Alles wirkte wie in etlichen anderen Chinarestaurants, die Michelle in ihrem Leben besucht hatte.
    »N’abend.«
    Michelle zuckte zusammen und fuhr herum. Hinter ihr stand eine kleine, breit grinsende Chinesin, die ihr zunickte.
    »Oh, guten Abend.«
    Die Chinesin lachte. »Habe ich Sie erschreckt? Das tut mir

Weitere Kostenlose Bücher