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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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Das Wort, das ihr gesamtes Erspartes verbrauchen würde.
    Die Chinesin verharrte in ihrer Bewegung, nur die Augenbrauen wanderten deutlich nach oben. »Champagner?«
    Michelle nickte und zog ihre Handtasche zur Brust. Sollte etwas schieflaufen, würde sie sich zu wehren wissen.
    Natürlich, weil die wirklich bösen Menschen vor einem Elektroschocker erzittern. Manchmal glaube ich, du bist einfach nur dumm.
    Die Chinesin ging zur Kasse, drückte auf einen Knopf, und mit schrillem Gebimmel raste die Geldschublade heraus. »Champagner rechnen wir sofort ab. Sie kennen den Preis?«
    Wieder nickte Michelle, öffnete die Tasche und zog die Summe aus ihrem Portemonnaie, die ihr der Mann ebenfalls gesagt hatte.
    Die Chinesin zählte nach, steckte die Scheine in die Schublade und schob sie zurück in die Verriegelung. Dann blickte sie Michelle – das erste Mal an diesem Abend – offen in die Augen. »Einen Moment, ja?« Damit verschwand sie hinter dem Vorhang.
    Michelle atmete tief ein. Ihr Herz schlug so heftig, dass es in der Brust schmerzte.
    Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich der Vorhang erneut teilte und eine Frau an die Theke trat. Sie war schlank und hochgewachsen. Sie trug Jeans und ein Hemd, das sie am Bauch verknotet hatte. Offensichtlich gehörte sie nicht zum Restaurantpersonal. In ihr Gesicht stahl sich ein breites Lächeln. »Eine Frau, wie ungewöhnlich. Sie sind also an unseren Champagnerleistungen interessiert? Für das Vorgespräch haben Sie bezahlt. Sollte es zu einer Einigung kommen, wird ein weiterer Betrag fällig, der von Ihren Wünschen abhängig ist.«
    Der Gerichtsprozess war schon so lange her. Michelle versuchte, sich an Details zu erinnern. Könnte dies hier Ya-Long sein? Zumindest die Statur war ähnlich. Bevor sie etwas Dummes tat, musste sie sicher sein.
    »Ja, das sagte mir der nette Herr am Telefon schon. Werde ich das Gespräch mit Ya-Long führen?«
    Das Lächeln der Dame wurde noch breiter. »Ja«, sagte sie schlicht und deutete an, ihr zu folgen. »Mein Name ist Rain. Alle Absprachen laufen über mich oder über Ya-Long. Sie sprechen mit niemand anderem. Bei jeder Transaktion geben Sie meinen Namen an.«
    »Rain?«
    Rain blieb stehen und drehte sich um. »Ja, Chinesen lieben englische Namen.« Dann verschwand sie in den Privaträumen.
    Michelle folgte ihr durch den Samtvorhang in eine Welt, von der sie noch vor zwei Jahren gedacht hätte, dass so etwas niemals existieren könnte.
    Über einen roten Teppich, der ihr das Gefühl gab, in den Rachen einer Bestie zu steigen, führte der Gang zu einer gewöhnlichen Holztür.
    Sie gingen hindurch, und Rain verschloss sie sorgfältig. Nun würden auch tausend Elektroschocker Michelle nicht mehr befreien können. Die Musikbeschallung hier ließ sich, im Gegensatz zu der im Restaurant, nicht mehr in den Hintergrund schieben. Die hellen Klänge chinesischer Instrumente schnitten wie peitschende Stahlsaiten in ihre Trommelfelle. Das rastlose Stakkato trieb Michelles Puls weiter an. Jeder Ton signalisierte Gefahr. Schrie: Sei auf der Hut.
    Eine Treppe führte in den Keller. Die Luft wurde feucht, und der Kitsch blieb hinter ihnen zurück. An den weißen Wänden reihten sich schlichte Wandlampen aus Stahl. Die Türen, an denen sie vorbeikamen, rosteten vor sich hin. Überall platzte Farbe ab.
    Michelle lauschte. Wenn hier unten so gefährliche Dinge passierten, musste man doch etwas davon hören. Doch außer ihren eigenen Schritten, die wie Donnerschläge durch den Flur schallten, war es völlig ruhig.
    An einer Stahltür stoppten sie.
    Rain trat an eine Gegensprechanlage heran und senkte ihren Kopf ein Stück. Sie drehte sich zu Michelle und lächelte, so dass es fast entschuldigend wirkte. »Champagner bitte«, sagte sie laut. Ohne eine Antwort abzuwarten, richtete sie sich wieder auf und ging an Michelle vorbei. »Nach dem Gespräch hole ich Sie hier wieder ab.« Sie zwinkerte ihr zu und ging.
    Es dauerte nur einen Moment, bis die Tür mit einem leisen Summen aufschwang.
    Der schwere Geruch von Sandelholz schlug Michelle aus undurchdringlicher Schwärze entgegen. Nur schemenhaft waren die Umrisse einer Person zu erkennen, die langsam ins Licht trat.
    »Einen wunderschönen guten Abend, Frau Kettler. Haben Sie schon etwas von Lilly gehört?«, die Person hielt Michelle eine Hand aus Alabaster entgegen. »Mein Name ist Ya-Long P’an. Es freut mich, dass Sie hergefunden haben.«
    Michelle nahm die Hand, die kühl war, und schüttelte sie.

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