Papa
Für ein paar Schläge setzte ihr Herz aus. Sie hatte die Chinesin gefunden.
Die Frau trug einen Kimono in Schattierungen von Rot, verziert mit goldenen Phönixen. Ihr schwarzes Haar lugte wirr und kurz unter einem Zylinder hervor. Eine dicke Sonnenbrille lenkte von ihrem faltigen Gesicht ab. Nicht, dass das nötig gewesen wäre. Trotz der Furchen und Grübchen sah sie gut aus. Ya-Long wirkte wie eine Geschäftsfrau mit außerordentlichem Sinn für Stil.
Erst nach und nach wurde Michelle klar, was Ya-Long sie gefragt hatte. Ein kalter Speer durchdrang ihre Brust und ihren Kehlkopf, nahm ihr den Atem. Sie hatte Mühe, sich zusammenzureißen. »Sie wissen von meiner Tochter?«
Ya-Long musterte sie mit einem vergnügten Grinsen. »Selbstverständlich. Ich würde doch meine Aufgabe ganz und gar unzulänglich erfüllen, wüsste ich so etwas nicht, nicht wahr? Sie können sich bestimmt vorstellen, dass wir in diesem Etablissement eine Menge perniziöser Gäste begrüßen. Unsere beste Versicherung ist das Wissen, das wir über unsere Kunden erlangen.
Doch sollten wir nicht auf dem Gang über derlei Dinge sprechen. Dafür gibt es passendere Räume. Folgen Sie mir.« Damit drehte sie sich um und schritt davon.
Als Michelle ihr in die Dunkelheit folgte, ließ sich ihr Puls nicht mehr beruhigen.
[home]
Kapitel 23
Y a-Long P’an führte Michelle in einen lichtdurchfluteten Innenhof, den ein aufwendiges Glasdach vor Regen und Wind schützte. Der Hof war großzügig, maß vielleicht vierzig Quadratmeter, und es war warm wie in einem Treibhaus.
In der Mitte stand ein Felsen, der aus Spalten und Löchern Wasser in ein Natursteinbecken spuckte. Ringsherum waren Beete angelegt, die vor Blütenpracht übersprudelten. Eine Berieselungsanlage legte einen feinen Dunstschleier auf die Pflanzen und verwandelte die Luft in ein Paradies für Tropenkrankheiten.
Ya-Long ging zu dem Becken und setzte sich auf den Rand. »Willkommen in meinem Arboretum. Ich war überrascht, als ich Ihren Namen auf meiner Liste gelesen habe.« Sie fasste die Sonnenbrille am Bügel und zog sie ein Stück herunter, um darüber hinwegzuschauen.
Michelle zwang sich, dem stechenden Blick standzuhalten. »Mir war gar nicht bewusst, dass ich ihn am Telefon genannt hatte?«
Ein Lächeln huschte über Ya-Longs Mund. »Das war auch gar nicht nötig. Der Mensch ist doch so gläsern. Eine Telefonnummer, zum Beispiel, ist ein guter Anfang und dann ein Bild. Welche Informationen kann uns ein einzelnes Bild geben? Menschen sind so mitteilsam. Manche Bilder enthalten sogar Koordinaten, kann man das fassen?« Die Chinesin lachte spitz. »Nur ein Bild, und ich bekomme einen Namen, eine Adresse, die Namen der Freunde, Verwandten. Was glauben Sie, Michelle, erfährt man, wenn man sich
richtig
anstrengt? Informationen sind mein Geschäft. Manche beschaffe ich, andere lasse ich verschwinden.«
Darüber wollte Michelle gar nicht so genau nachdenken.
»Bei Ihnen war es einfacher. Ich habe mich an Ihr Gesicht erinnert. Warum sind Sie hier? In meinem Restaurant?«
Michelle setzte gerade zum Reden an, doch ihr Mund war so trocken, trotz der Feuchte ringsum, dass sie husten musste.
Ja nun sag es ihr.
Ich bin ja so glücklich, dass Sie die Verhaftung von Tom möglich gemacht haben.
So war doch der Plan. Los, sag es.
Michelle schluckte, leckte über ihre Lippen.
Sie merkt, dass du Zeit schindest.
Ihr Gesicht wurde heiß, und während auch das letzte bisschen Selbstbewusstsein aus ihren Poren verdunstete, packte sie eine kalte Gewissheit mit eisigen Klauen. Ihr Plan würde nicht aufgehen. Etwas stimmte nicht daran. Etwas, das diese Frau, die wie ein Marmorengel vor ihr saß, durchschauen würde. Michelle musste umdenken. Schnell. Sofort. »Ich möchte Sie warnen«, sagte sie stattdessen.
»Das überrascht mich.«
»Es war nicht leicht, Sie zu finden, das können Sie mir glauben.«
»Oh, ich bin durchaus in der Lage, abzuschätzen, wie leicht ich zu finden bin. Wovor möchten Sie mich denn warnen?« Ya-Longs Gesichtsausdruck war unverändert.
Michelles Beine wurden schwer, doch sie wagte nicht, sich zu setzen. Ihr Hals fühlte sich an, als bekäme sie eine Erkältung. »Nun, jetzt, wo ich weiß, wer Sie sind, macht mein Vorhaben vielleicht wenig Sinn.«
Ya-Long lachte auf. »Sie kennen meinen Namen, aber Sie wissen
nicht
, wer ich bin. Und das sollte Sie beruhigen.«
Michelle tat sich schwer, den Ausführungen der Frau zu folgen. »Sie waren diejenige, die meinen
Weitere Kostenlose Bücher